Forschungsprojekt "In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen"

Was man in einer Krise tun kann, um noch schneller zu reagieren, ohne zu viel an Know-how zu verlieren

Dialogisches Interview mit DI Reinhard Petschacher
Infineon Technologies Austria AG
14. Jänner 2010

Das dialogische Interview führte Christoph Mandl *

Christoph Mandl: Meine erste Frage an Sie, Herr Petschacher, ist: Wie erlebten Sie aus Ihrer Rolle als Vorstand von Infineon Austria die wirtschaftliche Situation der letzten zwei Jahre?
 
Reinhard Petschacher: Bei uns war die Situation sehr dramatisch. Ich bin ja jetzt seit 1980 in der „Halbleiterei“, und so etwas habe ich noch nie erlebt. Der Bedarf ist bei uns sehr rasch und dramatisch eingebrochen – am Tiefststand um 65%, also auf 35% unserer Normalauslastung hier im Werk in Villach. Das war aber bei den anderen Werken von Infineon kaum anders. Wir haben in dieser Zeit wirklich nicht gewusst wie es weitergehen wird. Im ersten Quartal 2009 war die Lage ohne Übertreibung dramatisch. Wir haben hier in Villach hauptsächlich die Kundensegmente Industrie und Automobil, und dieser Einbruch kam nicht nur, wenn auch vorrangig im Automobil-, sondern auch im Industriesektor.
 
CM: Und in welchem Zeitraum hat sich dieser dramatische Rückgang abgespielt?
 
Reinhard Petschacher: Der hat sich in zwei Quartalen abgespielt. Im letzten Quartal 2008 und im ersten Quartal 2009. Also extrem kurzfristig.
 
CM: Das hat natürlich auch kurzfristige Auswirkungen. Wozu führt das jetzt kurzfristig bzw. längerfristig?
 
Reinhard Petschacher: Die kurzfristige Reaktion war, dass wir uns von circa 300 eigenen und circa 300 Zeitarbeitskräften sehr rasch getrennt haben und später auch Kurzarbeit bzw. kurzarbeitsadäquate Maßnahmen eingeführt haben – auch in der Entwicklung. So einen Einbruch kann man nicht allein dadurch überstehen, dass man in der Produktion spart, sondern da muss man überall, quer über den ganzen Konzern sparen. Wir hatten bereits ein Effizienzsteigerungsprogramm, IFX 10+. genannt, laufen, das uns besonders geholfen hat, Das ist Konzernweit aufgesetzt, und hat in der Krise sensationell gute Ergebnisse gebracht. Das hat es uns erleichtert, diese kritischen Monate zu überstehen. In diesen Monaten hatten wir ja auch noch mit Refinanzierungsproblemen zu kämpfen. Und deshalb war es besonders wichtig, dass möglichst wenig negativer Cash Flow entsteht. Das haben wir meiner Ansicht nach sehr gut gemeistert, und wir befinden uns jetzt durchaus wieder in einer Aufwärts-Phase. Wenn Sie fragen, was das für Spuren hinterlassen hat: Obwohl wir schon bald wieder die gleiche Auslastung haben wie Ende 2008, haben wir nicht mehr die gleiche Mitarbeiterzahl – das hat schon eine deutliche Effizienzsteigerung gebracht.
 
CM: Sowohl in Produktion als auch in der Entwicklung?
 
Reinhard Petschacher: In der Entwicklung haben wir von 1000 Mitarbeitern insgesamt nur etwa 40 verloren. In der Produktion sehen wir jetzt ganz klar zwei Richtungen. Die eine Richtung ist, uns noch stärker in Richtung Effizienzsteigerung durch Automatisierung, durch noch besseres oder spezielleres Equipment weiter zu entwickeln. Die andere Richtung ist, ein aktives Umfeld für Innovation zu schaffen.
 
1. Wir glauben, dass der wichtigste Schwerpunkt Innovation ist
 
CM: Ist da doch noch etwas drinnen - die Elektronik ist ja schon hochautomatisiert, oder?
 
Reinhard Petschacher: Das kommt darauf an. Der Fertigungsprozess an der einzelnen Anlage ist schon hochautomatisiert. Aber Sie müssen ja sowohl die Anlagen beschicken als auch wieder entleeren und das Material zwischenlagern. Wir kennen die Prozesse schon besonders gut und arbeiten auch mit den Maschinenlieferanten bei der Konstruktion der Maschinen zusammen. Da gibt es sicherlich noch sehr viele Ansätze, was man noch besser machen kann, und wo wir von uns heraus mehr Beiträge liefern können. Das heißt also: Innovation im Produktionsprozess. Das ist der eine Punkt, und auf der anderen Seite natürlich Innovation in Richtung neuer Technologie.
 
Ich glaube schon, dass die Krise permanente Veränderungen hinterlassen wird. Es wird bestimmte Arbeitsplätze in Europa einfach nicht mehr geben - vor allem diejenigen, die in der Krise abgebaut wurden. Wir müssen uns überlegen, wo unser Platz ist, womit wir punkten können. Und wir glauben, dass der wichtigste Schwerpunkt Innovation ist. Eben nicht nur Innovation im Fertigungsprozess, sondern auch Innovation in neuen Technologien.
 
Zum Beispiel bei Leistungstransistoren, die in Antrieben von Lokomotiven sind, oder in den Netzgeräten von Computern, geht es darum, diese möglichst energieeffizient zu gestalten. Jeder Schaltvorgang erzeugt Wärme und damit Energie, die verloren geht. Je effizienter diese Transistoren arbeiten, desto besser, effizienter nutzt man den Strom. Da kann man noch andere Materialien außer Silizium einsetzen, wie zum Beispiel Siliziumkarbid. Das hat von der Halbleiterseite her bessere Eigenschaften und kann auch höhere Temperaturen aushalten. Es ermöglicht somit Schaltungen, die noch geringere Energieverluste beim Schalten verursachen.
 
CM: Wäre dies eine radikale Innovation?
 
Reinhard Petschacher: Das ist eine radikale Innovation, denn wenn man statt Silizium ein anderes Grundmaterial verwendet, stellt man den ganzen Fertigungsprozess auf eine neue Basis.
 
CM: Das heißt man braucht dann auch völlig neue Maschinen?
 
Reinhard Petschacher: Völlig neue Maschinen braucht man vielleicht nicht, aber neue Prozesse, weil das Material sich anders verhält. Man kann aber sicherlich viele Analogien herstellen.
Unsere Fertigung in Europa läuft unter dem Motto „Innovationsfabrik“. Wir entwickeln immer die neuesten Prozesse, die neuesten Technologien und wollen immer ganz vorne dabei sein. Das ist das Rezept und die Motivation, wie wir mit dem riesigen Know-how, das wir über die Jahre aufgebaut haben, unsere Existenzberechtigung in einem Hochlohnland wie Europa halten können. Das bedeutet aber, dass die Grenzen zwischen Entwicklung und Produktion verschwimmen. Wenn man eine Innovationsfabrik ist, muss man wissen, in welche Richtung die Innovationen gehen sollen, und das geht nur, wenn man mit der Entwicklungsabteilung und den Geschäftsverantwortlichen zusammenarbeitet. Auf der anderen Seite bedarf es einer engen Zusammenarbeit direkt in den Entwicklungsprojekten. Das heißt, wir haben bei Infineon Austria wirklich eine überspannende Innovationsinitiative gegründet, wo wir uns auf definierte Schwerpunkte konzentrieren. Das eine ist, wie ich schon vorhin erwähnt habe, die Fertigungsautomatisierung, das zweite sind neue Materialien.
 
CM: Geht es auf der Materialseite mehr darum zu produzieren, oder gibt es hier noch offene Fragen bei der Entwicklung?
 
Reinhard Petschacher: Ja, es gibt noch andere Materialien, wo es offene Fragen gibt, wie z.B. bei Siliziumkarbid. Das wird zwar schon gut beherrscht, aber noch nicht zur Gänze. Wir setzen unsere Schwerpunkte dort, wo wir überzeugt davon sind, in Österreich unsere Stärken zu haben. Das sind erstens die Energieeffizienz-Themen, wo es eben um neue Materialien geht. Das Zweite ist die Sensorik. Wir sind ja schon sehr stark in Sensorik für den Automobil-Sektor und möchten uns da in Zukunft auf mikromechanischen Themen kombiniert mit elektrischen Schaltkreisen konzentrieren. Und der dritte Schwerpunkt ist die Sicherheit – also Chipkarten und RFID usw. Da kommt in der Entwicklung auch sehr viel aus Österreich.
 
CM: Und hat die Krise diese Innovationsprozesse bei Ihnen beschleunigt?
 
Reinhard Petschacher: Die Krise hat diese Innovationsprozesse durchaus beschleunigt und bewirkt, dass wir uns noch stärker gefragt haben, was der Mehrwert oder der USP ist, den wir haben bzw. bieten können. Und da kommen genau diese Themen, die wir vorher genannt haben, ins Spiel: Innovation auf der einen Seite und auf der anderen Seite die thematischen Schwerpunkte Energieeffizienz und Sensorik in Sicherheitsanwendungen. Das sind alles Themen, die im Trend liegen.
 
2. Der Konkurrenzdruck hat sich wesentlich erhöht
 
CM: Gibt es da auch schon eine entsprechende Nachfrage, oder ist das etwas, das Sie auf Verdacht machen?
 
Reinhard Petschacher: Nein, bei Energieeffizienz Themen gibt es eine große Nachfrage und bei Sensorik auch. Das Wichtigste ist aber, dass man, wenn man vorne ist - und bei Energieeffizienz sind wir die weltweite Nummer Eins im Markt für Leistungshalbleitern - dass man auch vorne bleibt. Der Konkurrenzdruck hat sich wesentlich erhöht, und daher ist es da ganz besonders wichtig, dass wir unsere Position halten.
 
CM: Das schafft ja ziemliche Schwierigkeiten, wenn Sie sich einerseits in einer Krisensituation mit massiven Umsatzeinbrüchen befinden und gleichzeitig verstärkt in Innovation gehen. Das ergibt ja einen ziemlich schwierigen Cash Flow Spagat. Wie schaffen Sie das?
 
3. Wenn man vom Vorstand weg solche Initiativen trägt, dann kann man einiges bewegen
 
Reinhard Petschacher: Wir haben trotz, oder gerade wegen der Einsparungen in der Entwicklung nicht nur Kurzarbeit gemacht, es wurden z.B. Überstundenpauschalen ausgesetzt und im Management hat man durch „unpaid leave“, Gehaltseinbußen in Kauf genommen. Wir haben für die Innovationsinitiative eine Begeisterung gespürt, die Mitarbeiter waren bereit sich einzubringen. Wir haben auch vom Konzernvorstand die Unterstützung bekommen, Fördermittel für Innovationsprojekte einzusetzen. Gleichzeitig hat auch die zentrale Fertigungsorganisation vor, trotz der Krise noch weitere Investitionen in Innovationen zu tätigen.
Die Schlussfolgerung ist: Wenn man es sich ernsthaft vornimmt, wenn man von der Spitze - also vom Vorstand - solche Initiativen trägt, und wenn die Begeisterung da ist, dann kann man doch einiges bewegen, selbst in einer Krise.
 
CM: Glauben Sie, dass Sie, um Weltmarktführer zu bleiben, aus Villach weg näher zu den Know-how-Zentren gehen müssen?
 
Reinhard Petschacher: Meine Aussage bezüglich des Weltmarktführers hat sich auf Infineon gesamt bezogen, wobei wir in Villach heute das Kompetenzzentrum für Leistungselektronik sind und generell den Vorteil haben, dass für Leistungselektronik sehr viel Know-how in Europa sitzt. Ob das jetzt in Berlin oder Freiburg oder in Graz ist, macht nicht den großen Unterschied. Aber diesen Trend zur Open Innovation, das heißt, dass man schauen muss, wo man auf dieses Know-how zugreifen kann, den kann ich schon bestätigen. Wir arbeiten heute wesentlich intensiver mit externen Firmen, oder mit externen Forschungsinstituten mit Universitäten zusammen oder holen uns auch Know-how herein. Wenn man ein Innovationsführer sein will, ist diese Netzwerkbildung natürlich sehr wichtig, daher haben wir sie auch in unserer Strategie verankert.
 
CM: Weil Sie dieses Europa-Thema immer wieder ansprechen – das klingt für mich sehr stark so, dass Sie nicht so sehr zwischen Österreich, Deutschland und Frankreich unterscheiden, sondern eher zwischen Europa und China, Indien oder USA.
 
Reinhard Petschacher: Gerade in der Produktion gibt es Europa und Asien. Konkret haben wir vor einigen Jahren in Malaysia ein neues Halbleiter-Werk für die Chip-Produktion gebaut. Und da ist es so, dass wir möglichst alle ausgereiften Technologien, wo wir nicht mehr erwarten, dass es irgendwelche Anlaufschwierigkeiten gibt, nach Malaysia verlagern. Zum einen deshalb, da sie dort natürlich einen großen Vorteil in den Arbeitskosten haben.
 
Zum zweiten auch, weil man Malaysia doch stärker zum Dollarraum zählen kann. Wir haben ja jetzt wieder eine Hochphase des Dollars, und der beeinträchtigt natürlich. Wenn sich in den Fertigungskosten nicht das gleiche Verhältnis Euro zu Dollar findet wie im Umsatz, dann ist dies ein Nachteil.
 
CM: Aber das heißt, die Produktion verlagert sich jetzt sogar beschleunigt nach Malaysia.
 
Reinhard Petschacher: Bei uns nicht so dramatisch, aber sicher hat sich, wenn man nicht nur uns betrachtet, sondern verschiedene andere Firmen auch, in der Krise vieles nach Asien verlagert, und das kommt auch nicht mehr zurück. Das ist meine Aussage. Und auch in der Entwicklung ist es so. Was man jetzt in Europa an Geschäftsmöglichkeiten verloren hat, das wird man nicht so leicht wieder zurückgewinnen.
 
CM: Mehr ironisch gefragt: Sehen sie sich schon Koffer packen und nach Asien übersiedeln?
 
Reinhard Petschacher: Jede Firma hat jetzt einen Re-Set auf ein sehr tiefes Niveau vollzogen und denkt darüber nach, wie sie sich in Zukunft besser aufstellen kann. Im strukturellen Bereich sind die Auswirkungen der Krise noch nicht vorüber. Gerade diese Industrie- und Automobilthemen haben aber in Europa noch eine sehr starke Heimat. Und daher sehe ich mich speziell was die Entwicklung betrifft noch nicht die Koffer packen. China hat in der Krise im Wachstum stark aufgeholt. Das heißt, die Chinesen haben als Kunden an Bedeutung gewonnen - nicht als Hersteller, sondern als Kunden. Seitens der Energieelektronik-Bauelemente sind wir relativ gut dort vertreten, aber trotzdem müssen auch wir uns überlegen, ob wir adäquat genug aufgestellt sind. Wenn das Wachstum in China bleibt, und dies ein Add-On Geschäft ist, ist das nicht so schwierig handzuhaben. Wenn aber in den anderen Weltregionen eher ein sehr verhaltenes Wachstum ist, und in China ein starkes, dann wird sich das heutige Gleichgewicht verschieben. Selbst wenn wir selber bei der Leistungselektronik die Koffer noch nicht packen werden.
 
CM: Gibt es Ihrer Ansicht nach im Rahmen der Krise oder danach so etwas wie eine Verlagerung – zum Beispiel weg von Automobil und hin in bestimmte Industriebereiche? Gibt es da deutliche Verschiebungen, von dem was von Ihnen gefragt wird?
 
Reinhard Petschacher: Wir sehen schon einen großen Trend in der Energieeffizienz, da glaube ich schon, dass es Verschiebungen geben wird.
 
CM: Das betrifft aber eher Industrie als Automobil, oder?
 
Reinhard Petschacher: Das betrifft vorerst einmal die Industrie. Es gibt ja noch immer genügend Motoren, die man nur mit einem Schalter ein- und ausschalten kann, egal wie viel Leistung man eigentlich wirklich braucht, und es gibt keine angepasste Regelung, die den Motor mit so viel Energie versorgt, wie er braucht.
 
CM: Das sind aber dann alte Motoren, oder auch neue?
 
Reinhard Petschacher: Das sind alte, aber davon gibt es noch viele in der Industrie.
 
CM: …die man umrüsten könnte?
 
Reinhard Petschacher: Eventuell. Dann gibt es das Stand-by-Thema. Also da sehen wir ganz deutlich einen Trend. Und das Sicherheitsthema, das liest man ja auch jeden Tag in der Zeitung.
 
CM: Gut, da sorgen die entsprechenden Schlagzeilen auch dafür. Ist in diesen Bereichen der den Ganzkörper-Scannern auch etwas von Ihnen dabei?
 
Reinhard Petschacher: Nicht das ich wüsste. Aber es ist denkbar, dass in der Energieversorgung dieser Geräte Halbleiter von uns zum Einsatz kommen. Aber je sicherer man sein will, desto mehr will man natürlich auf den Pässen speichern. Das heißt man will im Pass ganz charakteristischen Merkmale haben, damit nichts gefälscht werden kann. Und im Markt für Sicherheitschips in Reisepässen sind wir stark vertreten.
 
CM: Ein ziemlicher Umbruch ist das, oder?
 
Reinhard Petschacher: Ja, und ein bisschen verlagert sich der Fokus bei uns von den Kommunikationsprodukten weg. Infineon, hat in der Krise als eine von mehreren Maßnahme den Bereich Wireline Communications- das ist die drahtgebundene Kommunikationssparte - verkauft. Die ist jetzt eine eigene Firma. Da haben wir auch in Österreich Mitarbeiter an diese neue Firma übergeben.
 
4. Dass die Energieeffizienz ein neuer Treiber ist, das ist für mich klar
 
CM: Das ist interessant. Man bekommt so den Eindruck, dass es jetzt einen Shift gibt, weg von der treibenden Kraft der Kommunikations- und Informationstechnologie der letzten Jahre hin zu diesem Thema Energie oder Energieeffizienz. Es gibt die These, dass es treibende Technologien gibt, welche die gesamte Wirtschaft treiben. Und da gibt es die Hypothese, dass wir eine Verlagerung von der Informationstechnologie hin zur Energieeffizienz-Technologie haben. Wobei das ja immer noch ein riesen Gebiet ist – von Windkraft- bis zu Wasserkraftwerken bis zur Leistungselektronik.
 
Reinhard Petschacher: Das kann ich vielleicht im Hardware-Technologiebereich ein bisschen nachvollziehen. Die Hardwareentwicklung wird vielleicht nicht mehr so stürmisch sein, weil wir sehr viel getan haben. Aber alles, was man mit dem bestehenden Netz machen kann, die Software und die Möglichkeiten, die daraus resultieren, das wird schon noch bleiben. Aber dass die Energieeffizienz ein neuer Treiber ist, das ist für mich klar.
 
CM: Wir haben jetzt sehr viel darüber gesprochen, was sich alles verändert. Eine interessante Frage ist aber auch, was bleibt – also was gibt es bei Infineon, wo man sagt, das bleibt, auch wenn es durch die Krise in Frage gestellt wird?
 
Reinhard Petschacher: Wenig bleibt, ehrlich gesagt. Das einzige, was bleibt, ist die Tatsache, dass das Know-how doch im Wesentlichen in den Köpfen der Mitarbeiter ist. Ein wichtiger Punkt in unserer Strategie ist deshalb, dass wir dieses Know-how in den Köpfen der Mitarbeiter immer weiter entwickeln. In dem Sinne, dass wir unseren Mitarbeitern ermöglichen, etwas dazu zu lernen, umzulernen und sich diesem ganzen Wandel, der jetzt doch etwas beschleunigt worden ist, anzupassen und in unserem Unternehmen einen Platz zu finden. Und dieser schnelle Wandel fordert natürlich auch neue Führungsfähigkeiten.
 
CM: In welcher Form?
 
Reinhard Petschacher: Es kommen Umstellungen auf die Mitarbeiter zu und man verlangt mehr von ihnen. Und dieses neue Zugehen auf die Mitarbeiter, das Fordern von extremer Flexibilität und trotzdem die Stärkung der Firmenzugehörigkeit oder des Wir-Gefühls, das erfordert wesentlich mehr Interaktion mit dem Mitarbeiter, denke ich. In dieser Form müssen wir unsere Führungskräfte noch weiter entwickeln.
 
CM: In wie weit gibt es jetzt so etwas wie Spielwiesen, wo mehr oder weniger völlig frei mit neuen Technologien experimentiert werden kann?
 
Reinhard Petschacher: So weit gehen wir nicht. Wir versuchen, den Mitarbeitern schon innerhalb ihres Tätigkeitsfeldes ihren Freiraum zu geben. Und wir haben auch Innovationsprojekte, wo klarerweise nicht sicher ist, ob dabei wirklich etwas rauskommt. Das Scheitern ist also durchaus möglich oder teilweise auch programmiert. Aber eine absolute Vorfeldforschung haben wir im ganzen Infineon Konzern nicht mehr. Das hatten wir einmal in Form einer zentralen Forschungsabteilung. Das ist eben etwas, was man ein bisschen stärker durch Kooperation mit den Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen und durch Open Innovation ersetzen muss.
 
CM: Gehen Sie da eigentlich in ganz neue Bereiche der Energiethematik hinein, wie Energiespeicherung, also Batterien oder ähnliches?
 
Reinhard Petschacher: Nein. Bei der Fotovoltaik-Zelle sind wir nicht dabei, aber natürlich setzen wir dort an, wo der Strom gewandelt werden muss.
Batterie ist einfach zu chemisch, wobei wir auch da über Systeme verfügen, damit sie optimal geladen oder auch entladen werden.
 
CM: Gibt es Punkte, wo Sie sagen, die Krise hat dazu geführt, dass etwas schlicht und einfach über Bord geworfen wurde?
 
Reinhard Petschacher: Wie gesagt, wir haben uns von der drahtgebundenen Kommunikation getrennt.
 
5. Die zentrale Frage ist, was man in einer Krise tun kann, um noch schneller zu reagieren ohne zu viel an Know-how zu verlieren
 
CM: Das war im Zusammenhang mit der Krisensituation?
 
Reinhard Petschacher: Ja, natürlich, das war im Zusammenhang mit der Krise und unseren Refinanzierungsaktivitäten. Dieser Verkauf war der Anstoß zu einer positiven Entwicklung. Was wir über Bord geworfen haben, und wo wir uns bemühen, dass es nicht wieder aufkommt, betrifft die internen Prozesse. Im Zuge unseres Kostenoptimierungsprogrammes IFX 10+ haben wir natürlich vieles hinterfragt: Ist das jetzt notwendig? Ist das nicht notwendig? Reisetätigkeiten zum Beispiel haben wir sehr stark durch Videotelefonkonferenzen ersetzt.
 
Etwas Neues, das sich im Zuge der Krise extrem verstärkt hat, ist die Flexibilität der Arbeitskräfte. Dass man in einer Krise unter Umständen noch weiter gehen muss als dem Ersuchen, auf Einkommen zu verzichten wie wir das bisher getan haben. Und dann muss es natürlich neue Modelle geben. Die zentrale Frage dabei ist, was man in einer Krise tun kann, um noch schneller zu reagieren, ohne aber zu viel an Know-how zu verlieren. Das ist jetzt nicht etwas, das wir über Bord geworfen haben, sondern wo das Bewusstsein geschärft ist.
 
CM: Das heißt es geht vermutlich mehr in Richtung Mitarbeiterbeteiligung über Aktienmodelle etc.?
 
Reinhard Petschacher: Wie auch immer. Heute ist einfach das Bewusstsein da, dass hier noch Hirnschmalz hineinfließen muss und wir denken über neue Modelle nach..
 
CM: Gehen sie eher davon aus, dass sich solche Entwicklungen wie in den letzten zwei Jahren jetzt häufiger wiederholen? Ist das sozusagen eine Art von Szenario?
 
Reinhard Petschacher: Diese Krise hatte bzw. hat eine besonders tiefe Ausprägung. Es ist so, dass wie das Amen im Gebet ein nächster Down-turn kommen wird. Und da wollen wir, dass sich die Ereignisse für uns nicht wiederholen. Der Gesamtkonzern orientiert sich jetzt verstärkt an den Zyklen.
 
CM: Und das ist neu?
 
Reinhard Petschacher: Wir haben bisher eher in Jahren gedacht und geplant.
 
CM: Und Sie kommen aus einer Branche, die eigentlich noch nie so einen Abschwung erlebt hat.
 
Reinhard Petschacher: Natürlich hat man immer gesagt, jetzt kommt bald wieder ein Down-turn, aber man hat trotzdem bisher noch keinen ganzen Zyklus durchdacht oder simuliert. Man muss einen ganzen Zyklus betrachten und innerhalb dieses Zyklus muss der Konzern immer noch eine Rendite abwerfen, die attraktiv ist. Das ist eine Betrachtungsweise, die ich so nicht kenne. Wir haben schon immer fünf Jahre voraus geschaut, aber mehr strategisch. Und jetzt gibt es schon eine Modellierung über Up und Down.
 
CM: Wobei die Schwierigkeit ist, dass Sie die Länge des Zyklus nicht kennen.
 
Reinhard Petschacher: ´Da muss man mit Annahmen arbeiten. Wir wollen dadurch in ein Fahrwasser kommen, wo die Investoren durchaus über eine längere Sicht mit einer vernünftigen Rendite rechnen können. Die Halbleiterinvestoren sind sowieso Kummer gewöhnt, aber trotzdem denke ich, dass es schon ein Vorteil ist, wenn man da auch über die Zyklen eine gewisse Stabilität hat.
 
CM: Bei Ihnen ist das wahrscheinlich in einer besonders extremen Form ausgeprägt, weil Sie so etwas wie ein Rohstofflieferant sind. Das heißt, wann immer sich an der Front etwas verändert, geht es bei Ihnen ziemlich rasch rauf und runter. Wobei 65% Rückgang schon extrem sind. Ich nehme an, das haben Sie in Ihrer Firmengeschichte noch nie gehabt?
 
Reinhard Petschacher: Richtig.
 
CM: Und wie ist es Ihnen damit persönlich gegangen? Hat Ihnen das schlaflose Nächte bereitet, oder können Sie mit so etwas persönlich eher gut umgehen?
 
Reinhard Petschacher: Ich muss sagen, man ist operativ sehr beschäftigt. Man kommt gar nicht dazu, sich fundamentale Gedanken zu machen. Man konzentriert sich voll auf Fragen wie: Wann führen wir die Kurzarbeit ein? Wo können wir noch etwas einsparen? Ich war immer optimistisch, dass wir es meistern werden. Ich habe zwar leider beim Stand von 39 Cent keine Aktien gekauft, das wäre natürlich sehr gescheit gewesen, denn jetzt steht sie bei 4 Euro irgendwas. Aber ich war, auch wo die Aktie auf 39 Cent war, optimistisch, dass wir es als Firma schaffen werden.
 
CM: Von wo sind sie gestartet, also ich habe Ihren Aktienverlauf nicht so verfolgt.
 
Reinhard Petschacher: In den beiden Jahren vor der Krise waren es zwischen 8 und 10 Euro, dann ist sie in der Krise runter auf 39 Cent und jetzt waren wir bei 4 Euro.
 
CM: Wann war der Tiefpunkt?
 
Reinhard Petschacher: Ich denke im Februar oder März 2009. Wir sind die erste Firma in Deutschland, die innerhalb eines Jahres aus dem DAX fiel und wieder aufgenommen wurde. Unter einem Euro Aktienwert fällt man aus dem DAX.
Dann haben wir uns wieder erholt und dann sind wurden im selben Jahr wieder hineingenommen.
 
CM: Herr Petschacher, herzlichen Dank. Das war wirklich sehr interessant!
 
 
Biographisches
Reinhard Petschacher ist Technik-Vorstand der Infineon Technologies Austria AG und Infineon weltweit für die Entwicklung in der Division Industrial & Multimarket verantwortlich. In Spittal an der Drau geboren, absolvierte er das Studium der Nachrichtentechnik an der Technischen Uni Wien. Anschließend war er zunächst für AEG-Telefunken (heute Daimler-Benz) in Ulm tätig. 1979 wechselte er in das Zentrum für Mikroelektronikentwicklung von Siemens in Kärnten. Nach kurzem USA- Aufenthalt übernahm er leitende Funktionen in Forschung & Entwicklung  an den Standorten Villach und München.
 


* Dieses Gespräch Teil des Forschungsprojektes „In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen“. In diesem Forschungsprojekt werden Personen interviewt, die eine maßgebliche Führungsfunktion in einer Organisation innehaben. Ziel dieser Gespräche ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was derzeit als unternehmerisch relevant erlebt wird, und welche grundlegend neuen Fragen sich dabei herauskristallisieren. Dieses Forschungsprojekt entstand im Rahmen von metalogikon. Die Interviews und die zusammengefassten Erkenntnisse daraus sind abrufbar unter www.metalogikon.com