Forschungsprojekt "In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen"

In Krisensituationen entscheidet sehr viel die Persönlichkeit eines Menschen

Dialogisches Interview mit Xaver Gruber
Geschäftsführer von High Tech Extrusion
26. März 2010

Das dialogische Interview führte Josef M. Weber *


Josef M. Weber: Verändert die Krise, die Sie speziell in den vergangenen Monaten erfahren haben, Ihre Arbeit in Bezug auf die Verantwortung Ihres Unternehmens?
 
1.    Die herkömmlichen Methoden greifen nicht mehr
 
Xaver Gruber: Für mich persönlich ist das jetzt eine massive Krise, in der wir uns befinden. Das hat einerseits mit den realen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu tun, aber auch mit meinem persönlichen Werdegang.
In meinem persönlichen Werdegang hat es sicher auch krisenhafte Situationen gegeben. Aber noch nie habe ich eine wirklich kritische Situation erlebt, in der ich für eine Unternehmensgruppe, die insgesamt sehr, sehr am Rande steht, verantwortlich bin. In diesem Sinn, hat diese Krise etwas besonderes, etwas noch nie Dagewesenes.
Mit herkömmlichen Methoden – in dem man sagt, erst einmal anschauen und dann eine gewisse Struktur reinbringen, und dann rennt das – so einfach geht es plötzlich nicht mehr. Das Ganze ist extrem komplex geworden. Unzählige Einflüsse wirken da, hundert Aufgaben gilt es plötzlich gleichzeitig zu tun. Die Gefahr von dem Ganzen erstickt und erdrückt zu werden und nur mehr im eigenen Saft herumzurühren, ist riesengroß. Alle wollen gleichzeitig etwas von einem – die Banken, die Berater, die Mitarbeiter.
Die Herausforderungen in diesen Monaten waren und sind für mich auf der einen Seite ständig den Kontakt zu den Mitarbeitern – dort wo etwas passiert, dort wo wirklich produziert wird, wo wirklich Qualitätsprobleme auftreten – zu halten; aber auf der anderen Seite mir auch immer wieder Zeit zu nehmen, um heraus zu kommen; mich mit jemanden ganz anderen zu unterhalten, um das Ganze zu überblicken und die die Frage zu stellen: arbeiten wir wirklich an den richtigen Punkten? Machen wir das Richtige? Oder arbeiten wir nur und erledigen Aktionspunkte? Dann hat man dann und am Ende des Tages 50-100 Aktionspunkte und können sagen: Wir haben fleißig gearbeitet. Aber das Wichtige haben wir nicht gemacht.
 
JMW: Wonach orientieren Sie sich in derart komplexen Situationen?
 
2.    Den Kontakt halten und heraustreten aus dem Kampf
 
Xaver Gruber: In diesen schwierigen Phasen nach meinem persönlichen Gefühl. Einfach einmal zurück steigen und versuchen das Thema wirklich ganzheitlich und bewusst von außen zu sehen. Und dann kommt man eh drauf: Eigentlich hapert es dort ganz massiv und das ist im Moment unser größtes Problem. Hole ich dann auch noch die Meinung von jemand anderem ein, kristallisiert sich das Wesentliche schnell heraus. Dazu muss man sich aber sehr bewusst aus dem Kampf rausziehen, denn die Agenda wird jeden Tag voller.
 
JMW: In Kontakt bleiben mit dem Geschehen; Heraustreten und das Ganze sehen. Gibt es da ein konkretes Beispiel, wie Ihnen das gelungen ist?
 
Xaver Gruber: Ich nehme ein Beispiel aus unserem Vertrieb. Wir waren immer eine sehr vertriebsorientierte Organisation, die auf den Vertrieb mehr Wert gelegt hat, als auf Innovation oder auf die gesamte Supply-Chain. Und dementsprechend selbstbewusst sind unsere Verkäufer aufgetreten. Gegen Mitte bzw. Ende letzten Jahres habe ich überlegt, ob wird denn wirklich auf den richtigen Märkten tätig sind. Ob wir denn genügend Kunden ansprechen. Kann das denn sein, dass es nur diese Kunden gibt? Kann es sein, dass es in Italien nur einen Kunden gibt? Kann es sein, dass es in Frankreich keinen Kunden gibt? Kann es sein, dass die meisten Kunden im Osten liegen, also Russland, China, Indien, wo doch die weltgrößten Firmen in Westeuropa sind? Warum sprechen wir diese weltgrößten Firmen nicht an? Letztlich hat das dazu geführt, dass wir hinterfragen müssen, was wir im Verkauf tun.
 
Und wir haben uns einen neuen Verkaufsleiter geholt – ganz bewusst einen branchenfremden, damit der nicht in die gleiche Falle tritt. Einen Verkaufsleiter, der Verkaufsprofi ist und auch Führungsqualitäten hat, aber auch mit externen Augen sich das Ganze anschaut. Und der hat sehr, sehr schnell ähnliche Fragen gestellt. Und wir sind jetzt gerade dabei, den Bereich Verkauf aufzuräumen. Wir haben gute Verkäufer, aber die waren einfach schon so lange in Ihrem Bereich tätig, hatten irgendwie keinen Ansporn mehr etwas Neues, etwas anderes zu tun. Eine gewisse Satisfakturierung ist eingetreten. Quasi: „Ja, es ist halt schlechter im Moment – ist halt so.“
 
JMW: Damit haben Sie die Problemstellung auf eine strategische Ebene gehoben, auf eine grundsätzliche Neuausrichtung.
 
3.    Fragen als Tabu der Organisation
 
Xaver Gruber: Ja, das meine ich auch - heraustreten und fragen: arbeiten wir überhaupt an den richtigen Punkten? Es muss das Gesamtsystem passen. Wenn es in den vergangenen 10-15 Jahren gut funktioniert hat, und jetzt plötzlich nicht mehr, dann war das eine Schiene, die diese Unternehmensgruppe in den letzten 10-15 Jahren gefahren ist. Und wenn diese Schiene jetzt nicht mehr funktioniert, gilt es zu schauen, ob man vielleicht auf irgendein anderes Gleis wechseln muss.
 
JMW: War das ein Tabu in der Organisation?
 
Xaver Gruber: Fragen wie: Arbeiten wir gar nicht an dem Richtigen? Müssen wir uns umorientieren? Diese Fragen sind ein massives Tabu! Sie verstärken auch noch die Krise und verunsichern gewaltig. Man weiß, dass man zu teuer herstellt, dass man zu wenig verkauft, hat eh schon so wahnsinnig viel zu tun – man rennt eh schon noch schneller, weil man glaubt, am richtigen Gleis zu sein und nur noch schneller und noch besser rennen zu müssen. Und dann kommt diese Verunsicherung dazu: Wir müssen es ganz anders machen, wir müssen wo anders hin!
 
JMW: Aber wohin?
 
Xaver Gruber: Aber wohin? – Ganz genau! Das fragen dann auch die Banken, die Berater, oder wer auch immer.
 
Vielleicht gehen Menschen, die in ihrem Leben so etwas in einem Unternehmen schon einmal durchgemacht haben – in welcher Funktion auch immer – etwas entspannter oder auch besser heran. Wenn das aber Neuland ist, dann wird es heftig.
 
JMW: Würden Sie sagen, je öfter man Krisen durchlebt hat, desto leichter bewältigt man sie? Oder ist das Ausmaß dieser Krise etwas ganz anderes?
 
Xaver Gruber: Dass diese Krise die größte aller Zeiten ist, daran glaube ich nicht wirklich. Da hat es diesen Ölschock gegeben, wo auf den Autos dann drauf gestanden ist, an welchem Tag der Woche man nicht fahren darf – wenn das keine große Krise war, dann weiß ich nicht, was eine große Krise ist! Und das war in den siebziger Jahren.
 
Ich habe heute in der Früh eine andere Frage gestellt bekommen, im Zuge eines Audits: Man soll ja ein gutes Managementsystem haben, aber man soll trotzdem flexibel sein. Wie passt das zusammen? Das eine ist, ich habe ein System, das andere, ich muss flexibel sein.
 
JMW: Das widerspricht sich.
 
Xaver Gruber: Naja, aber eigentlich ist das auch eine gute Antwort. Nehmen wir beispielsweise eine sehr gute Fußballmannschaft her. Diese elf Leute haben eine sehr gute Struktur, ein sehr gutes System. Und wenn die eingespielt sind, wenn es ein gutes Team ist, das eingespielt ist, dann sind die fähig, mit jedem Gegner umzugehen. Und jeder Gegner wird ihnen andere Krisen, andere Aufgaben bereiten. Aber weil die einfach eine grundsätzlich gute Struktur haben, ein grundsätzlich gutes System, können die mit sämtlichen Krisen sehr gut umgehen. Ich halte doch viel davon, ein gutes Team aufzubauen und die Strukturen, die Prozesse, die Arbeitsprozesse zu optimieren, weil man dann einfach sehr breit aufgestellt ist und mit sehr vielen unterschiedlichen Herausforderungen besser umgehen kann.
 
4.    Ruhig, zukunftsfähig und begeisterungsfähig als Verantwortlicher in Krisensituationen
 
JMW: Der Vergleich mit der Fußballmannschaft ist einleuchtend. Sie müssen viele Standardabläufe, Spielzüge und Spielfähigkeiten entwickeln. Wie aber gelingt es denn, dass sie dann in einer völlig unerwarteten Situation auch funktionieren?
 
Xaver Gruber: Vielleicht braucht es Persönlichkeiten in diesem Team, die in solchen Krisensituationen ruhig, konzentriert bleiben und auch den Überblick bewahren.
 
Aber zurück zu unserer Situation: Vielleicht kann man intelligenter, gescheiter, schneller oder was auch immer als ich in dem Fall sein. Aber ich glaube, dass in diesen Krisensituationen die Persönlichkeit eines Menschen sehr viel mehr entscheidet. In dieser Situation, die wir jetzt haben - oder hatten - als Verantwortlicher für diese Organisation ruhig und trotzdem zukunftsfähig und begeisterungsfähig zu bleiben, dann ist das vermutlich in der Situation eine ganz wichtige Eigenschaft, um dem Team Halt und Zukunftsglauben zu geben.
 
JMW: Das macht mich neugierig! Worin äußert sich die Zukunftsfähigkeit?
 
Xaver Gruber: Das äußert sich meines Erachtens dadurch, dass man an verschiedene Eckpunkte, die jetzt oder in der Zukunft entscheidend sind, glaubt, an denen konzentriert weiter arbeitet. Ein gehöriges Maß an Glauben ist da hineinlegt.
 
JMW: Etwas woran Sie auch selbst glauben.
 
Xaver Gruber: Genau, selber daran glauben, und die Mitarbeiter dafür begeistern. Das hängt auch mit der Sprache zusammen. Man kann die Sprache wählen: Wenn das nicht funktioniert, dann geht das nicht. Oder man kann sagen: Wenn das funktioniert, dann wird das das Resultat sein von… Das heißt, man sieht das positiv. Es gibt ja immer zwei Möglichkeiten, oder zwei Wege! Die Sprache, die Art des Auftretens, auch die persönliche Risikobereitschaft und Einsatzbereitschaft machen es aus.
 
Und die Mitarbeiter sind im Regelfall schlaue Kerle. Die merken sehr schnell, ob das nur Gerede ist und die Wahrheit in eine ganz andere Richtung abbiegt. Es darf nicht nur der Glaube sein, und abgehoben sein, sondern es muss auch was dahinter sein.
 
JMW: Da geht es um Glaubwürdigkeit.
 
5.    Es geht um Glaubwürdigkeit
 
Xaver Gruber: Ich kann mich an einen Moment erinnern, der mich fasziniert hat: Mein Chef hat gesagt, „Ich gebe nicht auf“! Das war ein starker Satz, und das hat er auch durchgezogen, hat es wahr gemacht. Und das in einer insgesamt extrem schwierigen Situation. Der Effekt war: „Wenn er nicht aufgibt, dann gebe ich auch nicht auf“.
 
JMW: Wenn jemand sagt, ich gebe nicht auf und es glaubwürdig ist, dann kann dieser Geist sich breit machen.
 
Xaver Gruber: Glaubwürdigkeit, Persönlichkeit, Einschätzung von anderen Personen sind in derartigen Situationen ganz wichtig. Überlegen wir uns einmal die Seite der Banken. Die sind in einer ganz schwierigen Situation. Die Banken müssen sich entscheiden, wem sie weiterhin Geld borgen und wem nicht. Aber niemand, weder bei den Banken, noch sonst irgendwo ist fähig, in so einer Krisensituation die Situation eines Unternehmens wirklich gesamtheitlich und völlig objektiv einzuschätzen. Das geht gar nicht! Das heißt, Banken sind natürlich zu einem gewissen Maß auch davon abhängig, ob und wie vertrauenerweckend und nachhaltig, geradlinig das Management von dieser Firma argumentiert. Stimmt das, was die vor einem halben Jahr gesagt haben, sind die nach wie vor noch ‘on track‘?
 
JMW: Die Kennziffern allein reichen da nicht aus, sagen Sie. Sondern es geht auch hier darum, wie einem geglaubt wird. Orientieren sich die Banken danach?
 
6.      Die Zukunft ist kein ‘hard fact‘, sondern eine Einschätzung

Xaver Gruber: Ich glaube, dass die Banken auf das sehr reagieren! Und nicht nur die Banken, sondern auch sämtliche Stakeholder eines Unternehmens: Banken, Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten – alle sozusagen. Weil, in dem Fall wirklich entscheidend ist, wie man die Zukunft einschätzt. Und wenn man da ein Unternehmen hat, das glaubwürdig auftreten bzw. vertreten kann, dass die Zukunft sich in eine positive Richtung entwickeln wird, weil…, dann ist das mit Sicherheit hilfreich. Und die Zukunft ist ja kein ‘hard fact‘, sondern nur eine Einschätzung.
 
JMW: Sie bringen damit zum Ausdruck welche Signale gesetzt werden: „Welche Zukunft kreieren wir?“ als Unternehmen. Wo machen wir uns stark, was lassen wir bleiben? Wo tun wir mehr, wo tun wir weniger.
 
Xaver Gruber: Die Kommunikation ist in so einem Fall sehr, sehr wichtig. Entscheidend ist, wie klar und transparent kommuniziert man die Botschaft, wohin man gehen will. Wenn ich sämtliche Stakeholder da abhole, und ihnen glaubwürdig den neuen Weg aufzeigen kann, dann werden sie dem vertrauen. Und genau das ist jetzt in unserem Unternehmen zu einem gewissen Grad schon eingetreten. Fertig ist es noch nicht.
 
JMW: Nun mussten Sie in der jüngsten Vergangenheit auch massiv Personal abbauen. Wie glaubwürdig ist dieses Zukunftsbild dann noch für die verbleibenden Mitarbeiter?
 
Xaver Gruber: Das muss man vielleicht in verschiedene Phasen gliedern. Die eine ist, die Phase, wo klar wird, dass man Mitarbeiter abbauen muss. Das ist eine sehr kritische Phase - eine Klärungsphase im Management und bei den Mitarbeitern, die meistens schon spüren, dass zu wenig Arbeit da ist.
 
Dann kommt die zweite Phase des tatsächlichen Mitarbeiterabbaus. Besonders kritisch ist diese insofern, weil durch den Mitarbeiterabbau Arbeitsprozesse massiv gestört werden. Jetzt ist der eine nicht mehr da, wer macht denn den Job in Zukunft? Soll ich das jetzt machen? Gleichzeitig ist allen klar, dass man sich von Mitarbeitern trennen muss, weil nicht genügend Arbeit vorhanden ist. Bei 50% Mitarbeiterreduktion bedeutet das einen massiven Einschnitt in die Strukturen und Arbeitsprozesse. Und da kommt es schon vor, dass auch Mitarbeiter, von denen man sich keinesfalls trennen will, den Glauben verlieren und von sich aus gehen.
 
JMW: Das Unternehmen findet sich in einer völlig veränderten Situation wieder.
 
Xaver Gruber: Richtig. Das ist also die zweite Phase, die eigentlich die kritischste ist. Und dann kommt die dritte Phase: Der Abbau ist bis zu dem notwendigen Punkt erfolgt und jetzt muss aber wieder genügend Arbeit für alle da sein. Der Laden muss wieder brummen. Die Mitarbeiter verstehen, dass Leute abgebaut werden mussten. Aber wenn der Laden dann immer noch nicht brummt, dann hat man ein riesen Problem mit der Glaubwürdigkeit. Dann glaubt man dem Chef nichts mehr.
 
JMW: Welche Auswirkungen hat dieses Erleben in dieser Situation auf Sie persönlich gehabt? Gibt es so Dinge, von denen Sie heute sagen: Über so etwas hätte ich früher nicht nachgedacht. Oder ist nicht viel anders geworden?
 
7.    Zwischen Alleinentscheidung und Gruppenentscheidung
 
Xaver Gruber: Das war eine Situation, die ich persönlich noch nicht erlebt hatte. Und der Druck, der da in dieser Situation auf einem lastet, ist gewaltig. Entspannt durchschlafen, entspannt ausschlafen das gibt es nicht. Ich bin nur persönlich froh, dass ich eine Familie habe, die mich ablenkt. Das ist wichtig! Es ist der Druck, mit dem man umzugehen lernen muss; und mit der persönlichen Kritikfähigkeit. Denn in Krisen macht man ja auch Fehler und sagt sich: „Das habe ich schlecht gemacht und wenn ich diesen Fehler nicht gemacht hätte, dann würden wir jetzt ein bissel besser da stehen“. Doch das weiß man aber erst im Nachhinein.
 
Und wie geht man mit dem Ganzen um? Habe ich Menschen, mit denen man über das alles reden kann, mit denen man sich auch in solchen Situationen ehrlich und offen beraten kann? Das nimmt einerseits Druck weg und objektiviert das persönliche Gefühl. Ich denke mir: Da habe ich einen Fehler gemacht. Vielleicht aber sieht ein anderer das nicht so? Vielleicht sagt ein anderer: „Nein, du hast keinen Fehler gemacht? Es war einfach notwendig. Es wäre nicht mehr anders gegangen. Jetzt stehen wir im Moment halt so da.“ Das wäre auch mögliche Sichtweise. Also dieses mit sich selbst zu Recht kommen, ist gar nicht so einfach.
 
Vielleicht gibt es Menschen, die sind Alleinentscheider. Die gehen in sich und treffen alleine die Entscheidungen. Andere gehen eher raus und versuchen in der Gruppe die Entscheidung zu finden. Persönlich befinde ich mich da in der Mitte. Ich denke schon sehr viel über das Ganze nach und die Entscheidungen, die ich für mich persönlich getroffen habe, die möchte ich dann auch von einer Gruppe bestätigen bzw. noch einmal überprüfen.
 
JMW: Die Komplexität der Fragestellungen spricht dafür, dass mehr Denker notwendig sind, damit man der Situation überhaupt annähernd gerecht wird.
 
Xaver Gruber: Da sind wir wieder bei dem Fußballteam. Eine gute Mannschaft besteht aus vielen gleich starken Spielern, in der trotzdem jeder seine speziellen Möglichkeiten und Aufgaben hat. Wenn das ein gut eingespieltes, starkes Team ist, dann wird es unerwarteten Herausforderungen eher gerecht werden, als eine Mannschaft, die auf ein oder zwei Standards aufbaut.
 
JMW: Bezogen auf Ihr Führungsteam: Schätzt Ihr Team das? Dieses könnte ja auch die Haltung einnehmen: „Jetzt wird der Druck auf uns abgeladen – wozu haben wir einen Geschäftsführer? Der soll die Verantwortung und das Risiko tragen, und dann machen wir schon.“
 
8.    Über die Unterschiede im Managementteam
 
Xaver Gruber: Das ist eine gute Frage. Das hängt wie immer mit einer Kultur zusammen, die man kreieren muss. Das muss wachsen. In unserem Unternehmen war es auch so, dass sich im Führungskreis im Laufe der Geschichte einiges geändert hat. Da treffen jetzt auch bei diesen Managementteammitgliedern unterschiedlich erfahrene Personen zusammen.
 
Es gibt manche, denen taugt das, die wollen Verantwortung übernehmen, die wollen mitziehen, die sind kreativ, die sind dabei und behalten den Überblick, die sind Teamspieler, die machen ihre Sache gut, und sind aber auch fähig, über ihren Tellerrand hinauszublicken, und Ratschläge bzw. Kritik für andere Bereiche weiterzugeben. Dann gibt es wiederum andere, die die Verantwortung nicht nehmen wollen, die sich nicht trauen und daher ständig Verantwortungen delegieren. Und dann gibt es noch andere, die nur arbeiten wollen und nicht einmal ihren Kopf herausheben wollen, um zu schauen, wo sie überhaupt sind und sich mit den anderen abstimmen, sondern die sind nur arbeiten, arbeiten, arbeiten. Damit sind wir wieder beim Fußball: Wenn ich einen Spieler habe, der nicht links oder rechts schaut, der einfach nur den Ball haben und damit herum dribbeln will, dann ist das kein guter Teamspieler. Oder man hat einen andern, der keine Verantwortung übernehmen will. Das heißt, der kriegt den Ball und spielt ihn sofort wieder weg. Aber das heißt am Ende des Tages nur, dass das Team noch nicht perfekt ist, nicht gut ist.
 
Auf Ihre Frage, mögen das die Leute, mag das das Managementteam, dass Sie da die Verantwortungen teilen bzw. das entsprechend kommunizieren wollen, sag ich „jein“. Wir müssen als Team wachsen und besser werden.
 
JMW: Ihre erste Antwort darauf war ja, es ist eine Frage der Kultur, die man kreieren muss. Mir ist da der Gedanke gekommen, wenn die Verantwortung – im Sinne des Nachdenkens „was tun wir?“ usw. – verteilt wird, dann braucht es wahrscheinlich auch, dass man den Erfolg miteinander ausreichend würdigt oder feiert.
 
9.    Eine Krise zu bewältigen ist bestes Teambuilding und Doping
 
Xaver Gruber: Das ist das eigentliche Motivationstraining oder Teambuilding: Wenn man eine schwierige Situation durchsteht, in der der Druck wirklich massiv auf alle aufgeteilt war, dann kann man rückblickend sagen: Das haben wir gemeinsam geschafft. Das ist das beste Teambuilding, das es gibt! Das ist auch das beste Doping, das man haben kann. Da rede ich jetzt gar nicht von Geld oder Incentives. Gemeinsam eine Krise zu durchstehen ist schon sehr viel Wert.
 
JMW: Und eine Ermutigung für die Zukunft, denn: „Wir sind im Stande ganz schwierige Situationen zu meistern“.
 
Xaver Gruber: Richtig. Und das beantwortet auch die Frage, ob es gut ist, mehrere Krisen durchlebt zu haben. Wenn ich schon einmal als Team durch so eine Krise durchgegangen bin, dann kann ich in der nächsten Krise sagen: Damals haben wir das auch geschafft, also jetzt ruhig Blut, wir werden auch das überstehen!
 
JMW: Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen: Was brauchen Unternehmen in Zukunft? Was brauchen sie mehr? Womit kann man aufhören? Oder gibt es ganz was anderes oder neues, was bedacht werden muss? Kristallisiert sich da etwas heraus?
 
10.  Gute Menschen und gute Prozesse
 
Xaver Gruber: Ich habe einmal gehört oder gelesen, das hat geheißen: „Gute Menschen und gute Prozesse ergeben gute Ergebnisse“. Mit guten Menschen sind hier Menschen gemeint, die sich einsetzen, die zukunftsfähig sind etc. Gute Prozesse – Prozesse würde in dem Fall heißen, dass Managementstrukturen, Abläufe, Verantwortungen klar sind – ergeben gute Ergebnisse. Und das muss wahrscheinlich in den Unternehmen klarer und deutlicher werden. Nur dann bin ich krisenresistenter. Wenn ich ein sehr gutes Team habe – wir haben da ja über die gleichstarken Spieler geredet – wenn bei diesen Spielern die Verantwortungen wie beim Staffellauf die Stabübergabe, die Strukturen und die Prozesse klar sind, dann wird man auch auf Krisen besser antworten können. Wenn man die Firmen unserer Gruppe in der Vergangenheit analysiert, dann hatten die keine guten Prozesse, keine gute Struktur und keine klaren Aufgabenbereiche. Da war entweder nur der Vertrieb stark, aber nicht die Innovation, oder nicht der Einkauf, nicht die Produktion – was auch immer. Ein Unternehmen steht nun mal auf einigen Füßen. Ist nur ein Fuß stark, dann ist das zu wenig. Gibt es im Unternehmen ganzheitlich gesehen viele Füße, die auch stark genug sind? Ist der Geschäftsführung bewusst, dass es für die Zukunft auch Entwicklung braucht, dass man eine exzellente Supply-Chain braucht?
 
Steht das Modell einmal und ist dieses klar definiert, dann kommt der zweite Schritt: Welche Mitarbeiter aus meinem Unternehmen kann ich an welche dieser Positionen setzen. Habe ich überall Führungspersonen sitzen, die stark genug sind? Wenn ich das habe, dann kann nicht mehr recht viel schief gehen. Dann können Krisen kommen, aber wir werden sie bewältigen. Das ist einer der wesentlichen Lerneffekte.
 
JMW: Sie haben eingangs die starke Vertriebsorientierung und die fehlende Aufmerksamkeit auf Innovationen beschrieben. Ist das bereits anders geworden?
 
11.  Vertriebsorientierung und Innovationsfähigkeit
 
Xaver Gruber: Bisher haben wir ein Produkt sehr gut verkauft. Nichts daran war zu ändern. Zum Zeitpunkt, an dem sich das Produkt nicht mehr so gut verkauft hat, weil es plötzlich billigere Anbieter gab, waren wir schon sehr, sehr spät dran, etwas zu tun: Herstellkosten senken, Innovationen hervorbringen, weil sonst die eigenen Kosten nicht mehr abzudecken sind. Und da ist allen klar geworden, dass wir am relativ teuren Arbeitsplatz Österreich weltweit gesehen nur dann einen Chance haben, wenn wir ständig mit neuen Ideen Innovationen realisieren: Der Billigkonkurrenz voraus sein und gleichzeitig unsere Herstellkosten sehr massiv unter Kontrolle halten z.B. durch neue Verarbeitungsmethoden, durch sehr gute Lieferanten etc.
 
Wenn wir in regelmäßigen Abständen Innovationen hervorbringen, dann wird sich das Produkt auch gut verkaufen. Diese Pfeiler müssen passen, müssen gleich stark sein. Deswegen habe ich persönlich auch ein Problem, wenn man Vertriebsleuten Provisionen und Gehälter zahlt, die für mich nicht mehr nachvollziehbar sind. Der Vertriebsmann hat für mich sehr viel Wert, aber er ist nicht mehr wert, als einer der eine phantastische Entwicklung macht. Oder er ist nicht mehr Wert, als der, der die gesamten Herstellkosten so unter Kontrolle hält, dass ich Qualität liefere und zur richtigen Zeit liefere. Was nutzt mir der beste Vertriebsmann, wenn ich immer nur Schrott liefere und den auch noch zu spät liefere? Oder was nützt mir der beste Vertriebsmann, wenn ich ein Uraltprodukt habe? Dann wird er uralte Produkte auch nicht verkaufen können.
 
JMW: Sind bei Ihnen Vertriebsleute in Innovationsprozesse eingebunden?
 
Xaver Gruber: Wenn sie das wären, dann wären wir ein Unternehmen, dass sich vor Gewinnen einringeln würde. Wir wollen dorthin kommen, aber wir sind nicht dort.
 
JMW: Die Frage ist: Wie kommt die Information vom Vertrieb zu den Denkern?
 
Xaver Gruber: Das ist ein ganz schwieriges Thema. An dem muss man ständig arbeiten. Wie vernetzt man seine Verantwortungen und seine Prozesse in einem Unternehmen? Wie bringt man die Information vom Kunden in die Entwicklung? Auch: Wie kriegt man die Information vom Herstellprozess in die Entwicklung? Denn, was nützt mir ein Entwickler, der herumtüftelt, aber ich kann es dann nicht herstellen. Oder ich habe einen Entwickler, der ein super Gerät entwickelt mit hunderttausend verschiedenen Stellschrauben, aber der Kunde will etwas ganz anderes. Also diese Vernetzung ist verdammt wichtig.
 
JMW: Das spricht dafür, nicht nur die Erledigung der eigenen Aufgaben zu honorieren, sondern auch etwas ganz anderes. Zum Beispiel die Weitergabe von Informationen und Wissen…
 
Xaver Gruber: … und sind dann beim wirklich exzellenten Unternehmen angelangt. Unternehmen, die solche Spieler haben, die Verantwortung übernehmen, die ihre Rolle wahrnehmen, die ihnen zugeteilt wurde, die auch über den Tellerrand schauen können, was denn der andere gerade macht, kann ich dem irgendwie helfen, was braucht denn der andere jetzt gerade, wie kann ich ihm helfen, oder wie kann er mir helfen: Das sind die exzellenten Unternehmen!
 
JMW: Umgekehrt stört so jemand auch. Ungebetene Hilfe, einmischen, Besserwissen…
 
12.  Ein Übervater in der Organisation führt dazu, dass nur dann etwas passiert, wenn er entscheidet
 
Xaver Gruber: Genau. Deswegen ärgert es mich, wenn ich das Wort Geschäftsführerentscheidung höre. Ein Übervater in einer Organisation führt dazu, dass nur dann etwas passiert wenn er entscheidet. Und wenn er nicht entscheidet, dann passiert einfach gar nichts. Das ist das Schlimmste.
 
JMW: Die Fragen sind: Wie entsteht die Entscheidung? Sitzen Sie da im Büro und denken: Jetzt mache ich die große Entscheidung. Oder sind sie verbunden mit denjenigen, in deren Verantwortungsbereich die Entscheidung hineinwirkt?
 
Xaver Gruber: Oder kommen Vorschläge, gut aufbereitete Vorschläge? Das Schönste ist, wenn Vorschläge kommen, aus denen sich die Entscheidung dann selbst fällt. Dann hat der Mitarbeiter, der den Vorschlag gebracht hat, recht und der Chef kann absolut zufrieden sein, denn die Entscheidung ist die Richtige, weil sie sich selbst gefällt hat. Sicher gibt es aber auch grundsätzliche Richtungsentscheidungen, die man als Geschäftsführer treffen muss.
 
JMW: Gibt es branchenspezifische Themen von denen Sie glauben in, dass sie in der Zukunft wichtig werden.
 
13.  Es gibt enorm viele Innovationsmöglichkeiten
 
Xaver Gruber: Grundsätzlich halte ich die Güterherstellung für absolut zukunftsfähig. Ich glaube nicht, dass wir zu einer Dienstleistungsgesellschaft werden. Vom gegenseitigen Haare schneiden werden wir uns nicht ernähren können. Da müssen wir schon wirklich etwas tun, also etwas herstellen. Ich teile auch die Angst vor der Großmacht China – gerade durch meine Chinaerfahrung – nicht. Ich respektiere die Chinesen, ich schätze sie, aber ich fürchte mich nicht vor ihnen. Ich bin absolut der Meinung, dass Europa konkurrenzfähig ist. Branchenspezifisch ist also die Güterherstellung absolut zukunftsfähig, und wehe dem, der sie leichtfertig aufgibt. Aber man muss schon kämpfen um das Ganze am Leben und vor allem auch gewinnbringend am Leben zu erhalten.
 
Und wenn Sie mich nach Trends in der Branche fragen, so glaube ich, dass wir im Bereich der Kunststoffbranche in einer super Situation sind. Also Kunststoff ist mit Sicherheit aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften leicht und damit Energie schonend und auch sehr, sehr zukunftsfähig: alles was mit Kunststoff zusammenhängt ist ein Wachstumsmarkt. Und abhängig von den Additiven kann Kunststoff auch sehr Umweltschonend sein, weil er recyclebar ist. Kunststoff ist per se nicht schlecht, nur wenn man gewisse Zusatzstoffe wie Chlor oder Blei hat, dann muss man das ausgleichen. Und das dritte ist: Im Bereich der Extrusionsbranche glaube ich auch, dass wir gute Chancen haben, weil gerade hier die Verfahrenstechnik noch deutlich optimiert werden kann und damit gewaltiges Kosteneinsparungspotential vorhanden ist. Die Extrusionsbranche ist also eine in der mit Innovationen sehr viel zu bewegen ist.  
 
JMW: Da sind Sie auf einem guten Weg, weil nach dieser Talsohle eine neue Zeit, eine neue Ära beginnt…
 
Gibt es im Zusammenhang mit all diesen Themen eine Frage, die Sie beschäftigt? Eine Frage, auf die Sie keine oder keine klare Antwort haben?
 
Xaver Gruber: Davon gibt es sehr viele. Das sind häufig Fragen, von denen ich überzeugt bin, dass es eine richtige Richtung gibt. Es kommen dann schon Momente, in denen ich überlege: Was ist, wenn das nicht so aufgeht, wie ich oder wir uns das vorstellen? Was passiert dann? Da kann ich mir selber keine Antworten geben. Die Augen zu und durch, das ist mir zu wenig. Vieles ist instabil, aber die Krise stärkt.
 
JMW: Dann sag ich vielen Dank für das Gespräch!
 
Xaver Gruber: Danke auch.
 
 
9. Biographisches
 
Xaver Gruber ist Geschäftsführer der High Tech Extrusion, einem Verbund dreier rennomierter Kunststoffextrusionsmaschinen- und Werkzeughersteller. Er studierte Maschinenbau an der Montanuniverstät Leoben und war anschliessend 12 Jahre für Philips im Bereich Industrial Operation tätig, 7 davon in Singapur und China.
 

* Dieses Gespräch Teil des Forschungsprojektes „In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen“. In diesem Forschungsprojekt werden Personen interviewt, die eine maßgebliche Führungsfunktion in einer Organisation innehaben. Ziel dieser Gespräche ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was derzeit als unternehmerisch relevant erlebt wird, und welche grundlegend neuen Fragen sich dabei herauskristallisieren. Dieses Forschungsprojekt entstand im Rahmen von metalogikon. Die Interviews und die zusammengefassten Erkenntnisse daraus sind abrufbar unter www.metalogikon.com