Forschungsprojekt "In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen"

Innovationsfähigkeit und Mitarbeiterorientierung verbinden sich offensiv

Dialogisches Interview mit Frank Hauser
Geschäftsführer von Great Place to Work Institute Deutschland
1. Dezember 2009

Das dialogische Interview führte Martin Holfelder *

Martin Holfelder: Herr Hauser, Sie haben als Geschäftsführer von Great Place to Work Deutschland einen sehr breiten Überblick. Daher bin ich besonders neugierig, was Sie insgesamt wahrnehmen. Auf Ihrer Website steht: „Wir beobachten Trends rund um das Thema Arbeitsplatz“...
 
Frank Hauser: Ja, ich denke das ist so. Und ich nutze gerne jetzt das Gespräch, um das noch einmal zu klären. Wo kann man von einem Trend im Sinne einer längerfristigen und nachhaltigen Entwicklung sprechen? Was ist das, was hinter den Ergebnissen als treibende Kräfte steht?
 
MH: Ich habe ein paar Aufsätze von Ihnen gelesen und habe dadurch einen Eindruck, was Sie für wichtig halten: Mitarbeiterorientierung im Allgemeinen, Vertrauen z. B. im Besonderen. Das sind vertraute Themen. Aber die Frage ist: Behalten sie ihre Bedeutung oder verändert sich da was?
 
1.    Mitarbeiterorientierung intensivieren oder in Richtung Sozialromantik positionieren?
 
Frank Hauser: Was mich zurzeit sehr grundsätzlich beschäftigt, das ist tatsächlich die Frage nach dem Stellenwert, der Einordnung, der weiteren Entwicklung der Mitarbeiterorientierung. Denn sie hat als Orientierung für die Unternehmensführung doch eine ganze Reihe von Facetten und Dimensionen. Vielleicht kann auch dieses Gespräch das klären helfen.
 
MH: Für mich ist es natürlich auch spannender, wenn wir gemeinsam suchen.
 
Frank Hauser: Nehme ich den Begriff „Mitarbeiterorientierung“, dann ist zunächst natürlich zu sagen, dass es den Mitarbeiter als Beitragenden zum Unternehmensgeschehen immer schon gab. Es ist ja nicht so, dass wir den Mitarbeiter, den Menschen im Unternehmen mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen jetzt erst oder erst vor 20 oder 30 Jahren ins Unternehmen eingeführt haben. Also einerseits haben wir es beim Phänomen  Mitarbeiterorientierung mit einer Selbstverständlichkeit zu tun.
 
MH: Das heißt auch, allein damit locke ich jetzt keinen mehr hinter dem Ofen hervor?
 
Frank Hauser: Ganz genau! Andererseits oder gleichzeitig geschieht es auch jetzt immer noch – und an bestimmten Stellen verstärkt! –, wenn wir sagen, wir müssen die Mitarbeiterorientierung intensivieren oder wir müssen sie jetzt ernst nehmen – dass Stimmen dies in Richtung Sozialromantik oder einer Kuschelatmosphäre im Unternehmen positionieren.
 
MH: Kommen da auch Kommentare in Richtung: „… zumal jetzt in der Krise“? Wird da ein Zusammenhang hergestellt?
 
Frank Hauser: Sicher. Die Krise verschärft die Frage: Was ist wirklich wichtig im Unternehmen? Es geht nicht alles, was man vielleicht gerne machen möchte. Deshalb muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren und da gibt es Stimmen, die eine zu große Mitarbeiterorientierung oder mehr Mitarbeiterorientierung für schwierig halten.
 
MH: Wäre es zynisch zu sagen: dann werden Dinge unter dem Druck der Krise aber auch deutlicher, als sie je waren?
 
2.    In manchen Fällen wird weder das eigentliche Wesen von Mitarbeiterorientierung noch ihr Potential und ihr Nutzen erkannt oder verstanden
 
Frank Hauser: Ich bin nicht sicher, ob man es zynisch nennen kann, oder ob es ehrlich ist. Es ist aus meiner Sicht hilfreich zu sehen, welche inhärenten Kriterien im System „Wirtschaft“ wirken und welche man hineintragen muss.  
Ich bewerte diese kritischen Aussagen aber auch so, dass in diesen Fällen weder das eigentliche Wesen von Mitarbeiterorientierung noch ihr Potential und ihr Nutzen erkannt oder verstanden wird. Und das ist für mich ein Teil des Problems. Von daher frage ich mich auch: Wie klären wir das? Wie können wir das vermitteln, was Mitarbeiterorientierung in unserem Verständnis ist? Aber nicht nur in unserem, sondern sicherlich in einem reflektierteren Verständnis bei vielen Menschen in den Unternehmen. Einer unserer Beiträge dazu ist Unternehmen zu finden und vorzustellen, die Mitarbeiterorientierung umsetzen.
 
MH: Wird es schwerer, dem Top-Management, den Entscheidern die Bedeutung von Mitarbeiterorientierung nahe zu bringen wegen der Krise oder ist es leichter? Ist es anders?
 
Frank Hauser: Die Krise ist eine Art Schleife oder Umweg, die im Moment die Vermittlung dessen, was Mitarbeiterorientierung ist, in vielen Fällen schwieriger macht. Insgesamt hat der Megatrend „demografische Entwicklung“ und die „Schmerzen“, die damit in den Unternehmen schon erlebt werden, in den letzten Jahren doch eher eine Hinwendung zu diesem Thema gebracht. Also von daher: Wenn wir diese Wirtschaftskrise jetzt nicht hätten, sondern wenn sich die Entwicklung aus dem Jahre 2008 fortgesetzt hätte, also relativ starkes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig graduell zunehmender Verknappung von Fach- und Führungskräften, dann wäre die Offenheit für Mitarbeiterorientierung noch größer. Die Krise hat diese Entwicklung für eine Zeit zum Stehen gebracht.
 
MH: Sie sprechen jetzt in der Vergangenheitsform. Sehen Sie da bereits wieder eine Bewegung hin zur Öffnung?
 
Frank Hauser: Ja! In den Unternehmen, mit denen wir zu tun haben, öffnet man sich dem wieder weiter – bzw. dort hat man sich auch nie wirklich verschlossen. Aber auch das in breiterer Weise, bei vielen Unternehmen in Deutschland, ablesbare Bemühen, die Beschäftigten auch während der Krise im Unternehmen zu halten, ist ein Ausdruck des Wissens um die Situation am Personal- und Arbeitsmarkt. Stärkere Entlassungen von Beschäftigten sind nicht eingetreten. Die Unternehmen haben sich nicht so verhalten, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Und das ist für mich auch ein Ausdruck davon, dass verstanden oder vorher erlebt worden ist, dass es schwieriger wird, die Menschen zu finden, die man braucht, um sein Geschäft zu machen, wenn die Nachfrage wieder da ist.
 
Natürlich gibt es auch andere Erscheinungen, sozusagen das klassische Verhalten, wo sich in so einer Drucksituation dann auch der mehr oder weniger stark ausgeprägte Charakter zeigt und man eine Krise als Argument nutzt, sich von Mitarbeitern zu trennen, bzw. in Extremfällen auch zu Mitteln gegriffen wird, die sehr fragwürdig sind, um sich von Mitarbeitern zu trennen.
 
MH: Sehen Sie eine Auswirkung auf das zentrale Qualitätskriterium „Vertrauen“? Und zwar sowohl in der „Senkrechten“, d. h. die Chance oder Schwierigkeit, eben auch den Hierarchen zu vertrauen unter den Bedingungen verschärfter Entlassungen? Ich denke, zugleich wird es auch schwieriger, einander zu vertrauen, wenn von 20 Leuten nur 17 werden bleiben können. Wird da auch das Hacken untereinander verschärft und vertrauensbelastend? Ist so etwas spürbar?
 
Frank Hauser: Da muss ich natürlich sagen, dass wir als Great Place to Work-Institut es hier vor allem mit Unternehmen zu tun haben, die sich hinter diesem Thema versammeln bzw. diesbezüglich einiges an Einsicht haben und dafür engagiert sind. Ich glaube aber auch nicht, dass es in den anderen Unternehmen so schlecht ist, wie vielfach berichtet wird.
 
Grundsätzlich heißt es: In der Krise zeigt und bewährt sich der Charakter! In der Krise, die wir erlebt haben, ist das Vertrauen in die Unternehmen meiner Einschätzung nach in einer bestimmten Weise eher gestärkt worden:  Zum einen grundlegend dadurch, dass erkennbar geworden ist, dass man in vielen Unternehmen nicht die erste Möglichkeit genutzt hat, um die Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Zum anderen aber beispielsweise auch dadurch dass die Kommunikation zur Lage des Unternehmens, zu den Szenarien, wie man angesichts der Krise weiter verfahren wird, offensiv gestaltet worden ist. Bei einem solch offenen Umgang mit Kriseninformationen erleben die Mitarbeiter einerseits mehr Unsicherheit aufgrund ihres Wissens, dass Unternehmen nicht grenzenlos Stellen vorhalten können, wenn nicht genügend Aufträge da sind. Aber gleichzeitig kann das Vertrauen ins Management steigen, dass zur Sicherung der Arbeitsplätze alles getan wird, was getan werden kann. Die Bereitschaft sich hierbei zu aktiv beteiligen, ist dann spürbar höher.
 
MH: D. h. transparenter, wenn Sie so wollen: offensiver Umgang mit den Gegebenheiten, mit denen das Unternehmen und seine Mitarbeiter zurecht kommen müssen.
 
Frank Hauser: Genau! Wir haben eine Befragung zum Umgang mit der Krise bereits im März / April (2009) durchgeführt, auch unter diesen Teilnehmerunternehmen unserer Benchmark-Studie und da zeigten sich zwei dominante Maßnahmen im Umgang mit der Krise in Deutschland.
Eine Antwort lautete: Wir ergreifen keine besonderen Maßnahmen. Wir setzen das fort, was wir ohnehin praktizieren in Sachen Mitarbeiterorientierung, Offenheit, Zuverlässigkeit, Zusammenarbeit.
Und die andere Antwort lautete: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.
Also offene Kommunikation in deutlich erhöhtem Maße!
 
MH: Wenn wir jetzt mal auf die Hierarchie schauen, auf die hierarchische Organisation unserer meisten Unternehmen und auf die Rolle, die Hierarchie spielt und auf die qualitative Ausgestaltung von Hierarchie: Sehen Sie da Veränderungen oder eine andere Bedeutung?
 
Frank Hauser: Ich sehe generell eine Bewegung hin zu flacheren Hierarchien.
 
MH: Hätten Sie das 2007 auch schon gesagt?
 
Frank Hauser: Hätte ich auch schon gesagt!
 
MH: Nimmt das zu? Sehen Sie da noch mal einen Schub oder geht das einfach weiter, so wie wir das seit doch schon etlichen Jahren wahrnehmen?
 
Frank Hauser: Ich sehe das eher so, dass das weitergeht. Einen Schub nehme ich jetzt nicht wahr.
Eher eine Entwicklung, einen Trend, der sich weiter festsetzt. Auch auf Grund eines Altersphänomens: Führungsverhalten, z. B. Einbeziehung, Offenheit …, das ist ein soziales Verhalten, das man lernen muss bzw. in das man auch hinein sozialisiert wird. Dieses Verhalten ist sicherlich der Generation Y unmittelbarer mit auf den Weg gegeben worden ist als beispielsweise der Generation vor meiner. Unsere jungen Menschen, die ins Unternehmen hineinkommen, werden dies einfach einfordern, oder es wird einfach gelebt – selbstverständliche Praxis.
 
MH: Sind die “Great Places to Work“, mit denen Sie aufgrund Ihres Ansatzes verschärft zu tun haben, flacher organisiert als der Rest der Welt, der nicht ganz so “great“ ist?
 
Frank Hauser: Sie sind auf jeden Fall durchlässiger organisiert: Erreichbarkeit, Kontakt, der Fluss von Informationen, Austausch ist da sehr viel stärker. Das ist belegt: Wir haben die Fragen, die wir an unsere Teilnehmerunternehmen stellen, im Jahr 2006/2007 auch an eine repräsentative Stichprobe von Unternehmen in Deutschland gerichtet, also per Zufall ausgewählte Unternehmen. Und da zeigen sich beim Thema Informationsverhalten, Kommunikation, Transparenz, Durchlässigkeit deutliche Unterschiede, weniger aber bei der Zahl der Hierarchiestufen.
 
3.    Innovationsfähigkeit und Mitarbeiterorientierung verbinden sich sehr offensiv
 
MH: Sehen Sie bezüglich Innovationsklima eine neue Bedeutung oder eine neue Entwicklung oder Unterschiede zwischen “Great“ und nicht ganz so “Great Places to Work“ – ist so etwas wahrnehmbar?
 
Frank Hauser: Wir haben es bei unserer Arbeit mit Unternehmen zu tun, die sich nicht nur dem Thema Mitarbeiterorientierung sehr offen und nachhaltig und engagiert zuwenden, sondern, die sich generell auch ihrer Wettbewerbsfähigkeit, ihrer Existenz, ihrem Erfolg als Unternehmen engagiert zuwenden. Und in der Tat habe ich den Eindruck, dass in diesen Unternehmen das Thema Innovation eine recht große Rolle spielt. Da verbinden sich Innovationsfähigkeit und Mitarbeiterorientierung sehr offensiv.
 
MH: In die Breite der Organisation hinein? Oder bleibt Innovation die Aufgabe von ein paar sozusagen dafür Abgestellten? Oder infiltriert innovativer Geist auch ganze Unternehmen stärker, als wir es früher hatten?
 
Frank Hauser: Es geht breit ins Unternehmen hinein! Innovationen sind da keine Spezialaufgabe mehr von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Mein Verständnis von Innovation: Neuerungen erfolgreich einführen oder umsetzen. Eine gute Idee zu haben oder auch ein gutes Konzept zu haben ist das eine. Es dann erfolgreich einzuführen, sei es im Produkt-, im Prozess- oder im sozialen Bereich, ist dann das andere. Und spätestens diese Umsetzung und diese Einführung braucht in der Regel die gesamte Organisation. Das ist zumindest in den Unternehmen, mit denen wir es zu tun haben, weitgehend angekommen und klar. Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich der Begriff „Innovationskultur“. Wir haben auch unter den Teilnehmern „Deutschlands bester Arbeitsgeber“ eine Untersuchung gemacht und konnten zeigen – ich vereinfache jetzt etwas –, dass es zwei Ansätze gibt: Eine Hälfte der Unternehmen bearbeitet das Thema Innovation mit einem Konzept, das eine moderne Form des betrieblichen Vorschlagswesens ist. Also wo es darum geht: Hast du eine Idee, dann mache eine Eingabe, schlag das vor. Und das geht dann in einen systematisierten Prozess der Bewertung, Auswahl, Umsetzung.
Die andere Hälfte der Unternehmen sagt: Ja, Innovation ist für uns wichtig, aber wir haben kein Vorschlagswesen, Innovationsverhalten ist Teil unserer Kultur geworden. Es ist, vereinfacht gesagt, Teil unseres mehr oder weniger täglichen Handelns. Das wird dann dadurch greifbar, dass beispielsweise bereits in Vorstellungsgesprächen etwa gefragt wird: „Wie stehen Sie zum Thema Innovation?“ Man führt so früh diesen Begriff ein und vermittelt, dass das Phänomen in diesem Unternehmen von Bedeutung ist. Im Gespräch hört man dann wahrscheinlich gewisse Allgemeinheiten. Aber bleibt man dran und fragt beispielsweise weiter, „Was war die letzte Innovation, die Sie für sich in Ihrem Leben betrieben haben?, gibt es dann auch Hinweise auf das Innovationsverhalten des Gesprächspartners.
 
MH: Allein die Frage signalisiert, wo Sie hier als Neuer gelandet sind.
 
Frank Hauser: Genau. Das Thema bzw. das dazu gehörende Verhalten findet sich dann auch im Mitarbeiter-Gespräch wieder oder man kommt in Meetings regelmäßig zu dem Punkt: Was können wir besser machen, was wollen wir verändern? Dann kriegt das „Kultur“.
 
MH: Geht das soweit, dass die Verfechter dieser zweiten Linie sagen würden, ein betriebliches Vorschlagswesen würde uns hier eher hemmen?
 
Frank Hauser: Es gibt solche, die das Vorschlagswesen abgeschafft haben. Die Überlegung lautet dann, das ist kein Teilbereich unseres Unternehmens, sondern das es ein durchgängiger Zug unseres Unternehmens, unseres Geschäftes.
 
MH: Gibt es andere Dinge, die dazu beitragen, dass man diese gewünschte breite Innovationskultur kriegt? Was tun diese Unternehmen sonst noch dafür? Es ist ja ein anspruchsvolles Ziel.
 
Frank Hauser: Wie immer bei Kultur: Wenn man es einmal geschafft hat, eine Sache als Prinzip zu verankern, dann ist es nicht mehr so schwierig; dann gilt es eigentlich immer. Das ist das besondere an Kultur. Ihre Entwicklung ist nur solange schwierig, solange das gewünschte Prinzip nicht wirkt oder solange es eben nicht verankert und als Prinzip gelebt wird. Bis dahin braucht es eine Reihe von Maßnahmen und vor allem Vorbilder.
 
MH: Aber wenn es geklickt hat, gibt es Rückkopplungen, die das ganze auch stabil halten.
 
Frank Hauser: Dann passiert es ständig. Wir könnten jetzt einen Tag eines Beschäftigten durchgehen und ich könnte Ihnen an jeder Stelle sagen, wo sich innovatives Handeln zeigt oder zeigen kann. Das sind Meetings, die mal eben nicht im Meetingraum gemacht werden und auch nicht nur im Coffee-Corner, wie das schon relativ verbreitet ist, sondern dann macht man mal ein Meeting im Supermarkt oder im Zoo …
 
MH: Mit dem erklärten Ziel, Innovation zu fördern?
 
Frank Hauser: Mit dem Ziel eine Innovationskultur zu fördern oder bereits als ihr Ausdruck. Eine Forderung bei Innovation ist ja “to think out of the box“. Und da gibt es Unternehmen, die gehen tatsächlich einfach mal aus ihrem Kasten raus. Die gehen aus dem Meetingraum oder den sonstigen normalen Gegebenheiten raus.
 
MH: Nicht unbedingt Meetings, die den dezidierten Zweck „Innovation“ haben.
 
Frank Hauser: Nein. Wenn das nächste Treffen ist, sagen Sie einfach: Wir treffen uns im Zoo bei den Tigern oder bei den Erdmännchen… – egal um welches Thema es geht.
 
MH: Ich würde gerne noch mal nachfassen zum Thema radikale „Innovation“, also die Suche nach einem Sprung raus aus vertrauten Märkten, aus vertrauten Produktwelten. Ist so etwas zu beobachten? Hat das verstärkte Bedeutung oder…?
 
Frank Hauser: Ich kann Ihnen jetzt wenige Belege auf der Produktseite oder auf der Leistungsseite nennen. Auf organisatorischer – und kultureller - Seite versuchen aber die Unternehmen, ihre Fähigkeit radikalere Innovationen zu schaffen, zu verbessern. Sie tun dies beispielsweise, indem sie dieses Ziel über Kennzahlen präsent machen. Das folgt dem klassischen Ansatz “You cannot manage what you do not measure“. Man erfasst den Stand, formuliert Ziele, setzt Maßnahmen um und dann sieht man, wie sich die Situation verändert hat. Man fragt sich weiter, was haben wir zur Veränderung getan und was müssen wir tun, dass sich die Innovationsrate auch in Zukunft so entwickelt. Die Kennzahlen werden dann relevant für die Bewertung von Führungskräften, von Abteilungen . Das ist eine Möglichkeit. Aber es gibt auch Unternehmen, die sagen: Wir prämieren den Fehler des Monats.
 
MH: Halten Sie den Weg, die Dinge messbar zu machen, für ein gutes Vehikel?
 
Frank Hauser: Ja.
 
MH: Ich frage deshalb, weil Sie so sorgfältig auf Kultur gucken. Innovatives Denken und Handeln fließt in allen Kapillaren des Unternehmens, sodass es gar keine Instrumente mehr braucht. Auch keine Messinstrumente?
 
Frank Hauser: Kennzahlen dienen vor allem der Messung des Erfolgs des innovativen Handelns und sind nur in Grenzen ein Instrument zur Förderung der Innovation. Es ist in Unternehmen schon notwendig, den Erfolg des innovativen Handelns insgesamt zu messen Die Messung als solche setzt auch bereits Kräfte frei, die dann das Verhalten, das für das Ziel notwendig ist, selber erzeugen. Sprich: wenn ich weiß, ich werde am Ende eines Geschäftsjahres oder einer Betrachtungsperiode auch danach bewertet, was wir an Neuem geleistet haben, dann entsteht Energie in diese Richtung. Aber das kann nicht das einzige Instrument sein. Auch nicht die klassische Forschungs- und Entwicklungsabteilung oder ein dezidiertes Budget, das man in den Bereich steckt. Das Schaffen einer umfassenden Innovationskultur ist der Weg, den Unternehmen gehen müssen, um in ihren Innovationsprozessen größere Mühelosigkeit und dann auch eine höhere Ökonomie zu erreichen..
 
MH: Ich habe hier die Phantasie, dass ein Unternehmen auf dem Weg zu einem immer alltäglicheren Innovieren sagt: Kann man diesen Quatsch jetzt mal weglassen? Weil sie sich gegängelt fühlen, wenn sie sagen: Herrgott noch mal, wir sind die ganze Woche so innovativ unterwegs. Mir fiel dann der Unterschied zwischen externaler und intrinsischer Motivation ein. Der ist ja belegt: dass externale Motivierungsversuche etwa über Geld intrinsische Motivation allen Ernstes kaputt machen können. So dachte ich gerade, dass eine Kultur sich vielleicht so entwickeln kann, dass so etwas dann tatsächlich zum Hemmnis wird. Das wäre eine Analogie zu dem Betrieblichen Vorschlagswesen, von dem man sich wieder verabschiedet.
 
Frank Hauser: Was ich kritisch sehe für das Thema Innovation, aber auch für das Thema Personalarbeit insgesamt, ist eine zu starke Fragmentierung dieser Erfolgsrechnung. Wenn man dieses Erfolgsrechnungsprinzip oder seine Indikatoren zu sehr zergliedert, dann fragt man sich bei jeder einzelnen Maßnahme: Was liefert sie für einen Beitrag für unsere Innovationsfähigkeit? Was bringt jetzt der Besuch im Zoo? Das ist sicherlich etwas, wo es eine Grenze gibt, wo es nicht mehr sinnvoll oder hilfreich ist, sondern wo man das ganzheitliche Phänomen „Innovatives Verhalten“ zu sehr zerstückelt, so dass dann der Tausendfüßler eben nicht mehr weiß, welches Bein er jetzt bewegen darf und welches nicht, weil sein Beitrag zur Fortbewegung nicht klar ist.
 
MH: Und es gleitet ab in Richtung Technologie. Das macht dann keinen Spaß mehr!
 
Frank Hauser: Es – oder er, der Tausendfüßler, - läuft dann einfach nicht mehr oder nicht mehr so schnell!
 
MH: Noch mal zum Spaß, Spaß in der Krise … schwer? Wichtig? Mit Spaß warten bis es wieder besser geht?
Ist das zynisch, Spaß als die Idee von einer freudvollen Arbeit aufrecht zu erhalten unter den erschwerten Bedingungen? Ich rede jetzt von Firmen, die die Krise wirklich zu spüren kriegen und nicht von den glücklichen, die damit nicht so viel zu tun haben.
 
Frank Hauser: Ja, natürlich kann unter Druck der Spaß als erstes an Bedeutung verlieren. Spaß kann aber auch in Form von Freude einen vollendeten Zustand bei der Arbeit beschreiben. Spaß, da ist die Frage, was man darunter versteht: Schenkelklopfen oder einen inneren Zustand, wo man sich belebt und heiter fühlt, wenn man in der Firma war - und dabei auch das ein oder andere Mal gelacht hat.
 
4.    Ich halte Mut – persönlichen Mut - für einen wichtigen Begriff
 
MH: Herr Hauser, was Sie sagen, bringt mich zu einem anderen Begriff, der dem verwandt ist und ich formuliere es einfach als Frage an Sie, der Sie mit solchen Fragen von Kultur und Mind set beschäftigt sind: Abenteurergeist angesichts der Krise?
 
Frank Hauser: „Abenteuer“ ist eine ambivalente Sache, denn es ist natürlich ganz klar, dass die Manager eines Unternehmens eben nicht nur Verantwortung für ihr persönliches Wohlergehen und ihre persönliche wirtschaftliche Situation haben, sondern verantwortlich sind für hunderte, zehntausende andere Menschen – für die Mitarbeiter, die durch Managemententscheidung in ihrem Wohlergehen, in ihrer wirtschaftlichen Situation, in ihrer sozialen Situation, in ihrer Gesamtexistenz massiv beeinflusst werden. Insofern haben wir durch das Entstehen der Wirtschaftskrise etwas mitbekommen, von dem man sagen kann, das ist durchaus auch das Verhalten von einzelnen Managern gewesen, sich auf „Abenteuer“ einzulassen.
 
MH: Und der Begriff „abenteuerlich“ hat dann etwas sehr Kritisches!
 
Frank Hauser: Die Spekulationen, die da getätigt worden sind, und die Verantwortungslosigkeit, wahrscheinlich bei gleichzeitigem hohen persönlichen Nutzen, das zeigt, wie kritisch Abenteuer in der Wirtschaftswelt sein können.
Aber ich sehe durchaus auch ein positives Moment in Ihrer Frage oder in dem Abenteuer-Begriff. Das heißt etwas anderes wagen oder etwas anderes denken. Dann kann die Krise Entwicklungen auslösen, einleiten, die dann nach Wirren und vielen Mühen und wahrscheinlich auch Sorgen bei allen Beteiligten dann doch was Positives haben können.
Viele Unternehmen, die einen Auftragsrückgang von 20 % haben oder mehr, müssen sich zwangsläufig die Frage stellen: Was mache ich denn jetzt anders? Wenn es so, wie es bisher gegangen ist, nicht mehr geht, was mache ich dann? Dann kann ich entweder nichts machen oder ich kann versuchen, die Situation etwas zu verbessern, aber es gibt auch Unternehmen und Menschen, die das zum Anlass , irgendetwas ganz anders zu machen. Das ist dann natürlich ein Abenteuer.
 
MH: Haben Sie Berührungen mit solchen Unternehmen, die diesen radikalen Weg tatsächlich gegangen sind und damit Erfolg gehabt haben?
 
Frank Hauser: Ich habe in unserem Umfeld eine Reihe von Unternehmen, die jetzt nicht ihr Geschäft radikal verändert haben, aber beispielsweise den Weg, ihre Kunden anzusprechen, verändert haben, da was Neues ausprobiert haben. Oder aber die im Bereich Arbeitszeit und Weiterbildung neue Wege gegangen sind.
 
MH: Von abenteuerlich bin ich auf kühn gekommen. Haben Sie denn den Eindruck, dass Kühnheit hier und da zunimmt unter dem Druck? Gibt es da einen Zusammenhang nach Ihrer Einschätzung oder wird man eher konservativer? Ich persönlich beobachte beides.
 
Frank Hauser: Ja, ich würde auch sagen, dass es beides gibt. Die Psychologie lehrt uns, dass wir uns in Stresssituationen, unter Druck, auf bekannte Verhaltensweisen zurückziehen. Das ist für viele der Weg zum Bekannten, zum Gelernten, früher schon öfter Gemachten. Zum Teil ist es daher wahrscheinlich ein Persönlichkeitsphänomen, wenn einzelne dann sozusagen als dominante Reaktion sagen: Ich mache etwas, was neu ist. Ich breche aus aus der bekannten Situation. Spannend ist es, wenn es Organisationen gelingt, neue Wege zu fördern, aber es wird immer auch mit den Einzelnen Menschen zusammenhängen, die Verantwortung dafür übernehmen. Ich halte Mut – persönlichen Mut - für einen wichtigen Begriff. Das gilt für den Bereich der Innovation, aber auch für den gesamten Bereich der Personalarbeit.
 
MH: Wo Mut ist, ist Risiko. Wo braucht es das, wo finden wir das, wo entwickelt sich das? Eher im Management, Top-Management, in der Mitte, eher in der Mannschaft? Haben Sie da einen Eindruck?
Ich kenne Auseinandersetzungen in Organisationen, dass mal die eine Ebene über die Lähmfunktion der anderen und dann die andere über die Lähmfunktion der einen schimpft. Haben Sie da eine Wahrnehmung, auf wen man am ehesten setzen kann oder unterscheidet sich das auch?
 
Frank Hauser: Das braucht es ja auf allen Ebenen! Jeder in seiner Funktion! Man braucht einen Impuls, man braucht diese Energie des Mutes. Aber man braucht auch eine Kontrolle.
Unternehmen sind eben Systeme, die nicht über unbegrenzte Ressourcen verfügen. Und das bringt auch das Moment einer gewissen Verantwortung mit sich. Es gibt die Notwendigkeit eine Balance zu finden zwischen Risiko und Kontrolle. Unternehmen können sich ab einem gewissen Niveau der Angelegenheit nicht erlauben, einfach mal was auszuprobieren.
 
Insgesamt brauchen Unternehmen aber Mut auf allen Ebenen. Sie brauchen Mut-Kulturen.
Es ist notwendig, dass die Mitarbeiter, die am Produkt, in der Produktion oder am Kunden sind und da erkennen, was gut ist und was verändert werden müsste, den Mut haben, diese Dinge zu formulieren, weiterzutragen und dabei zu bleiben. Das gilt in jeder Hinsicht. Auch im Sozialen. Also dass man sagt, die Führung, die hier stattfindet, die ist nicht gut oder die tut dem Team nicht gut. Am besten in der persönlichen Auseinandersetzung mit der Führungskraft. Und dann braucht es beim mittleren Management natürlich den Mut, diese Dinge anzunehmen und falls erforderlich weiter nach oben zu tragen. Manager brauchen den Mut, zu akzeptieren, , dass sie nicht alles richtig machen, dass sie nicht die Beherrscher der Situation sind, sondern darauf angewiesen sind, dass Vorschläge und Energien von den Mitarbeitern kommen.
 
MH: Ich habe auch schon erlebt, dass Mut gefordert wird oder andere Qualitäten. Und wenn der dann kommt, dann wird zurückgeschlagen.
 
Frank Hauser: Das haben wir ja mit vielen Punkten. Der Begriff Vertrauen, aber auch die dazu führenden konkreteren Phänomene Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness, das sind alles Dinge, die wünschen wir uns alle. Wenn Sie sich die Websites von Unternehmen anschauen – das steht nahezu überall, zumindest Respekt oder Wertschätzung finden Sie dort sehr häufig. Und wenn man die Menschen fragt, dann sind gerade das die Dinge, deren Mangel oder Verlust sie beklagen. Das hat damit zu tun, dass die Dinge per se oder als Idee als wünschenswert angesehen werden, aber im konkreten Leben in der Umsetzung, in dem persönlichen Involviertsein besondere Herausforderungen mit sich bringen.
Die Aufgabe von Unternehmen ist, die Bewältigung dieser Herausforderungen nicht dem Zufall zu überlassen. Es ist dieses Lebendig-werden-lassen von dem, was wichtig ist für das Unternehmen, für das Überleben, das bewusst gestaltet bzw. begleitet werden muss. Die Gestaltbarkeit von Kultur, vom Leben der Werte hat Grenzen, aber viele Unternehmen sind weit davon entfernt, diese Grenzen der Gestaltung kennenzulernen oder wirklich zu erreichen. Sie bleiben hier deutlich unter ihren Möglichkeiten.
 
5.    Werte sind Prinzipien, deren Umsetzung den Menschen „etwas Wert ist“
 
MH: Wenn wir das nochmals in Beziehung setzen zur aktuellen Krise: Was sagen Sie persönlich oder was vertreten Sie in einer Auseinandersetzung mit einem Top-Manager? Werteorientierung, ich nehme jetzt einfach mal diesen gängigsten aller Begriffe, jetzt erst recht, mehr denn je, um damit die Krise zu meistern? Wie würden Sie sich gegen eine Position verhalten, die sagt, alles gut und schön, melden Sie sich in drei oder fünf Jahren wieder. Also Werteorientierung als Luxus, „das können wir uns im Moment nicht leisten. Herr Hauser, überlegen Sie doch mal. Kommen Sie später wieder!“
Ich kenne das, das ist nicht erfunden…
 
Frank Hauser: Wir müssen schauen, über welche Wertorientierung sprechen wir hier. Werte sind ja ganz einfach gesprochen Prinzipien, deren Umsetzung den Menschen „etwas Wert ist“. Da es die Aufgabe von Unternehmen ist, Werte zu schaffen, ist es sicher von Vorteil wenn sich die Manager auch intern mit Werten befassen, die nicht ganz unmittelbar in Geld umgerechnet werden können  Wenn sie es nicht tun, müssen sie an anderer Stelle dafür bezahlen. Greifbar wird das etwa bei einem Werten wie Loyalität, Teamgeist oder im Produktbereich Qualität.
Dann lohnt es sich auch zwischen einem Wert und den damit verbundenen Umsetzungsmaßnahmen zu unterscheiden. Vielfach wird da zu kurz gedacht. Ein Wert kann in einem Unternehmen unter verschiedenen Umständen anders umgesetzt werden. Nehmen wir den Wert Respekt. Befindet sich ein Unternehmen in einem normalen wirtschaftlichen Umfeld  zeigt sich Respekt für die Mitarbeiter neben der grundsätzlichen Anerkennung der guten Arbeit beispielsweise auch in Weiterbildungsangeboten und in Angeboten zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Was heißt das jetzt in der Krisensituation? Da erwartet kein Beschäftigter, dass er einen besonders teuren Weiterbildungkurs erhält und wahrscheinlich haben alle Verständnis, dass der Zuschuss zum Sportkurs ausgesetzt wird. Man muss und kann das dann in wirtschaftlich schwierigen Phasen mit den Mitarbeitern abstimmen. Der Respekt zeigt sich hier dann in der Einbeziehung der Mitarbeiter bei der Änderung der Maßnahmen oder Angebote. haben  Und ist die Situation sehr kritisch muss man auch mit den Mitarbeitern über das Thema Stellenabbau und den Verlust der Stelle sprechen.
 
MH: Ist das glaubwürdig? Respektvoll und fair?
 
Frank Hauser: Nehmen wir mal diesen kritischsten Fall, den es für Beschäftigte gibt – den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes - angenommen, dass ihnen an dem Unternehmen grundsätzlich etwas liegt oder dass die Arbeit für Sie wichtig oder notwendig ist. Dann kann die Kündigung auf eine Art und Weise geschehen, dass ich aus den Nachrichten erfahre, dass Stellen abgebaut werden im Unternehmen. Und im schlimmsten Fall, komme ich dann an meinen Arbeitsplatz und finden dann da die Kündigung.
Und der andere Weg kann sein, dass die Geschäftsleitung zum Zeitpunkt, wenn die Zahlen kritisch werden oder sich eine kritische Entwicklung abzeichnet, den Beschäftigten entgegentritt und sagt: „Wir können in die Situation kommen, dass wir Stellen abbauen müssen. Wir werden dann jeden Fall betrachten und versuchen, die bestmögliche Lösung zu finden.“ Und wenn ein Stellenabbau dann nicht vermeidbar ist, dann tatsächlich mit jedem in das Gespräch zu gehen und die persönliche Kündigung zu begründen. Es geht dann nicht um die Entscheidung selbst, sondern es geht um Zeit, um persönliche Begegnung und Austausch. Das ist für die Führungskräfte eine Herausforderung. Für einen Geschäftsführer heißt es etwa: Beschäftige ich mich jetzt weiter mit den letzten Zahlen und wie es mit dem Unternehmen insgesamt weitergeht oder nehme ich mir die Zeit, und spreche mit den Beschäftigten darüber, warum ich die Entscheidung zur Kündigung treffen musste. Für den Mitarbeiter geht dabei um Respekt oder keinen Respekt, um Wertschätzung oder keine Wertschätzung. Es ist durchaus diese Entscheidung.
 
Also die Werte, über die wir sprechen, stehen über den Situationen und sie finden in guten und schlechten Zeiten ihre eigene Verwirklichung bzw. können sie dort finden.
 
MH: Das heißt, Sie erwarten ein bewusstes Management eines solchen Dilemmas: Wie gehe ich mit diesem Dilemma um?
Finden Sie insgesamt, dass es schwieriger wird unter dem Druck der Krise, solche Werte wie Glaubwürdigkeit, Respekt und Fairness aufrecht zu erhalten? Haben Sie ein markantes Beispiel?
 
Frank Hauser: Ja, es gibt ein sehr markantes Beispiel, ein Unternehmen aus Österreich, das krisenbedingt einen deutlichen Stellenabbau realisieren musste. Unternehmensstandort ist eine etwas abgelegenere Gegend und das Unternehmen ist dort ein wichtiger Arbeitgeber. Die Entlassungen waren für die Betroffenen daher besonders existentiell. Gleichzeitig wollte die Geschäftsführung die Qualitäten eines guten Arbeitgebers nicht aufgeben. Für sie galt: Uns geht es wirtschaftlich durch den abrupten Nachfragerückgang nicht gut, aber die Prinzipien, um die es uns geht, unsere Werte, die stehen deshalb nicht zur Disposition. Die Entlassungen wurden daher in einem für alle transparenten Prozess und mit hoher Zuwendung und Aufmerksamkeit für die einzelnen Betroffenen realisiert. Ziel war es, dass auch zu den Beschäftigten, die ausscheiden mussten, noch ein gutes Verhältnis bestehen blieb und diese gerne wiederkämen, sobald sich die wirtschaftliche Lage wieder besser würde. Das Unternehmen hat dann trotz dieser Kündigungen an der Great Place to Work© Befragung „Österreichs beste Arbeitgeber“ teilgenommen. Sie dabei dann von den Mitarbeitern bessere Beurteilungen erhalten als in den Vorjahren. Beispiele, die in die gleiche Richtung gehen gibt es auch für Deutschland.
 
MH: Das ist ja eine bemerkenswerte Zuspitzung!
Ganz andere Spur: Sie haben eine Unterscheidung gemacht, die klang sehr relevant und ist mir persönlich nicht so geläufig, obwohl das vielleicht schade ist. Sie haben gesagt, im System Wirtschaft haben wir Kriterien, die sind dem System Wirtschaft inhärent. Und dann solche Kriterien, die man reintragen muss. Da hätte ich gerne noch einmal gehört, was Sie da unterscheiden. Das finde ich spannend!
 
6.    Das System Wirtschaft enthält an sich keine weitergehende soziale Komponente
 
Frank Hauser: Als Hintergrund für Sie: Ich bin Betriebswirt von meiner Grundausbildung, - und habe auf dieser Basis den Bereich Organisation und insbesondere die Sozial- und Organisationspsychologie vertieft. Man muss sehen, Wirtschaft ist das Feld, in dem es um das Managen von knappen Gütern geht. Wir sprechen immer dann von „wirtschaften“, wenn wir es mit Dingen zu tun haben, von denen nicht genug da ist, um den Bedarf oder die dahinterstehenden Bedürfnisse zu decken.
 
MH: Dann muss man sorgfältig wirtschaften, ja! So kennt es die Alltagssprache!
 
Frank Hauser: Ganz genau! Noch praktischer gesagt: man muss das Verhältnis von dem, was man in eine Aktivität oder Leistung reinsteckt und dem, was rauskommt, optimieren. Das ist „wirtschaften“ im Prinzip. Ich will jetzt nicht versuchen die Grundlagen der Betriebswirtschaft aufzulegen, aber in unserem System erfolgt die Bewertung dieser Input/Output-Relation am Markt. Der Markt entscheidet letztendlich, ob der Aufwand den man betrieben hat und die Qualität die man geschaffen hat, vergütet also bezahlt wird. Die Energien gehen daher bei einer wirtschaftlichen Betrachtung immer auf eine Reduzierung des Aufwands, der Kosten, der Leistung oder einer Steigerung des Ertrags bzw. eben einer Optimierung des Verhältnisses der beiden Größen. Das System Wirtschaft enthält dabei an sich keine weitergehende soziale Komponente, bei der es beispielsweise darum ginge, Arbeitsplätze zu schaffen, zur Gesundheit der Beschäftigten beizutragen oder einen Beitrag zur Beziehungsfähigkeit der Menschen im Unternehmen zu leisten. Das ist im System Wirtschaft per se in diesem Gestalten von Input/Output-Relationen nicht angelegt! Hier heißt es in einfacher Form: Was kostet es und was bringt es? Das heißt als einfache Konsequenz: Wenn der Verantwortliche die Gelegenheit hat, Arbeitsleistung für weniger Geld einzukaufen, als er das bisher aktuell tut, dann sagt ihm das System, in dem er tätig ist „Mach das!“ Versuche den Aufwand, der da entsteht, die Kosten, die entstehen, versuch, das zu reduzieren. Also alles, was im System Wirtschaft stattfindet steht unter dem Druck seine Kosten zu reduzieren oder seinen Ertrag zu belegen bzw. zu erhöhen. Das meine ich mit inhärenten Prinzipien. Unter dem Druck dieser Prinzipien stehen alle, die in dem System tätig sind – Mitarbeiter und Manager.
Jetzt ist es aber so, dass das System Wirtschaft innerhalb der menschlichen Gemeinschaft stattfindet. Von daher haben wir als Menschen das Recht und es besteht auch die Notwendigkeit, die weiteren Prinzipien zu definieren, die dann auch gelten können oder gelten müssen! Man muss sich nur klarmachen, dass das eben nicht aus der Wirtschaft selber rauskommt! Ein Beispiel für solche Prinzipien sind die Regelungen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz.
 
MH: Das ist dann aber eine normative Geschichte. Also die Gesellschaft, über welche Mechanismen auch immer, trägt das rein und versucht das zu setzen, versucht das da zu implementieren.
 
Frank Hauser: Natürlich gibt es auch in der Wirtschaft Verantwortliche, denen zwischenmenschliche Werte und Qualitäten unmittelbar wichtig sind. Und es gibt Phänomene, die unmittelbar für den Menschen gut sind und deren Umsetzung auch der Leistung des Unternehmens zu Gute kommt, wie die Identifikation mit der Arbeit oder der Teamgeist. Aber man muss sehen, dass das System Wirtschaft die Umsetzung nur insofern fördert, als sie für das Verhältnis von Input und Output relevant ist. Diesen Druck wird es immer geben.
 
MH: Wenn ich es richtig rausgehört habe (vielleicht habe ich es auch reingehört), dann sind das zum Einen die Menschen, die in den Unternehmen sich dann melden können mit ihren Ansprüchen und dann in die Auseinandersetzung gehen mit der reinen Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Aber auch gesellschaftliche Kräfte von außen konfrontieren dieses Unternehmen oder die Wirtschaft insgesamt mit Ansprüchen, die aus der Wirtschaft selbst nicht herauswachsen.
 
Frank Hauser: Man braucht ein Bewusstsein für die Grenzen der unmittelbaren Leistungen des Systems Wirtschaft – das gilt meiner Einschätzung nach aktuell noch mit Blick auf die Werteorientierung oder auch auf Themen wie Lohnhöhe und Arbeitsplatzsicherheit. Natürlich müssen die Menschen dann weiter dafür Sorge tragen, dass das, was in den Unternehmen oder in der Wirtschaft stattfindet, dazu beiträgt, dass sie das Leben leben können, das sie leben wollen – und dass die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhalten bleibt.
Unsere Aufgabe als Great Place To Work® Institut, ist es den Unternehmen selber die Möglichkeit zur besonderen Verbindung von Mitarbeiterorientierung und Menschlichkeit und wirtschaftlichem Erfolg zu zeigen. Hier liegen für alle Beteiligten große Potenziale.
 
MH: Ich habe die Unterscheidung jetzt glaube ich ganz gut verstanden. hätte aber als Nicht-Betriebswirt noch mal eine Frage – quasi als Testfrage: Um maximalen Output in unserem Wirtschaftsunternehmen zu erzeugen, brauchen wir engagierte Mitarbeiter, engagierte Mitarbeiter kriege ich unter bestimmten Bedingungen, unter anderen nicht oder schlechter. Ist das ein Gedanke, der aus dem System Wirtschaft heraus geboren werden kann oder ist das eine Überlegung, zu der das System Wirtschaft per se nicht fähig ist?
Hier spricht der Psychologe, aber ich finde das eine sehr nüchterne Überlegung, die einem wirtschaftenden Menschen, der aber über das Funktionieren von Menschen weiß, rein betriebswirtschaftlich zugänglich sein müsste! Wie würden Sie das beurteilen?
 
Frank Hauser: Das ist genau mein Punkt. Es ist gut, einen Blick darauf zu haben, was das System selber erzeugt oder welche Kräfte darin wirken. Und dann gibt es darin Weiteres.
Ja, Engagement ist eine Art betriebswirtschaftliche Größe. Unter sonst gleichen Bedingungen wird von zwei Unternehmen, das mit den engagierteren Mitarbeitern erfolgreicher sein. Kreativität, um noch mal bei dem Thema Innovation zu sein, auch das ist etwas, wo man quasi das Werthaltige im ökonomischen Sinne greifen kann. Der Notwendigkeit zu hohem Engagement und immer mehr Kreativität auf allen Ebenen des Unternehmens haben wir viel zu verdanken, was in Sachen Mitarbeiterorientierung und menschengerechte Gestaltung der Arbeit stattgefunden hat. Und hier liegt auch ein guter Teil seiner Zukunft. Ohne des volle Engagement und die Kreativität oder sagen wir Innovationsfähigkeit seiner Mitarbeiter – und zwar möglichst aller oder vieler Mitarbeiter - werden Unternehmen in den wirtschaftlich entwickelten Ländern kaum konkurrenzfähig bleiben.
 
Bereits heute lässt sich klar zeigen, dass Mitarbeiterorientierung über seine Wirkung auf das Engagement und das Veränderungsverhalten auch wirtschaftlich – auch mit Blick auf den finanziellen Erfolg sinnvoll ist; das lässt sich belegen.
 
Ein Teil unseres Auftrags als GPTW Institute ergibt sich daraus, dass auch dann, wenn man im Unternehmen grundsätzlich erkannt hat, dass Mitarbeiterorientierung oder zwischenmenschliche Qualitäten wie Respekt wichtig sind, Ihre Umsetzung vielfach doch nicht gelingt. Es gibt noch sehr viel zu tun in diesem Bereich. Aber wenn wir darüber sprechen, wie sich die Zukunft der Arbeit für die Menschen entwickeln wird, dann bin ich recht optimistisch.
Das hängt mit der anhalten Bedeutung von Engagement und Innovationsfähigkeit zusammen, aber zumindest in den nächsten Dekaden auch mit der Entwicklung am Personalmarkt . und damit einem wirtschaftsinhärenten Moment - Stichwort ist hier die demografische Entwicklung. Für viele Wirtschaftsbereiche oder für viele Funktionen werden zukünftig immer weniger, zu wenige Arbeitnehmer – oder dann in einem neuen Sinne „Arbeitgeber“ – Menschen die ihre Arbeitskraft geben - da sein. Das wird zu einer anhaltenden Konkurrenz um die Arbeitskräfte führen. Deshalb wird der Aufwand, der in den Bereich Personalgewinnung und -bindung hineingelegt wird, deutlich größer werden. Das ist toll, das ist schön für die Menschen, für viele zumindest. Gäbe es allerdings diese Marktentwicklung nicht, wäre ich nicht sicher, ob Mitarbeiterorientierung zukünftig eine breite Bewegung werden würde oder nicht doch ein Pfad bliebe, den nur eine gewisse Zahl von Unternehmen gingen – sei es aus Überzeugung oder Erkenntnis der wirtschaftlichen Relevanz oder aus der persönlicher Werthaltung der Verantwortlichen.
 
MH: Das heißt jetzt – ich guck grade auf das Plakat hier mit ihrem Unternehmensnamen – das heißt die Bedeutung „to be a great place to work“ wird eher zunehmen und nicht „nice to have“.
 
Frank Hauser: Ja. Der Markt wird dafür sorgen. Und alle Unternehmen haben die Möglichkeit und in den meisten Unternehmen wird die Situation besser sein, als sie es jetzt ist. Einige werden es vielleicht nicht schaffen.
 
MH: Herzlichen Dank, Herr Hauser!
 
7.    Die Mitarbeiterorientierung bekommt die Rolle, die die Kundenorientierung in den 60er oder 70er Jahren bekam
 
Frank Hauser: Gerne! Einen Punkt vielleicht noch. Was mich nach wie vor beschäftigt: wir haben am Anfang ja mit der Entwicklung des Themas Mitarbeiterorientierung begonnen. Wir sind da ja schon paradox gestartet: Einerseits ist es nichts Neues, andererseits haben wir diese Skeptiker. Ich sehe eine neue Qualität der Mitarbeiterorientierung notwendig und auch kommen und stattfinden oder zumindest breiter realisiert werden in Zukunft: Die Zuwendung zum einzelnen Mitarbeiter und die Gestaltung der Beziehung zwischen dem Unternehmen und diesem einzelnen Mitarbeiter. In gewisser Weise bekommt für mich die Mitarbeiterorientierung die Rolle, die die Kundenorientierung in den 60er oder 70er Jahren - in den USA auch schon in den 50er Jahren bekam. Da wurde der „Kunde“ als Phänomen entdeckt. Den gab es vorher im Unternehmen als Träger von individuellen Bedürfnissen nicht. Da gab es nur den Abnehmer. Legendär der Satz von Henry Ford: „Bei mir kann jeder Autofahrer die Autofarbe haben, die er möchte, so lange sie schwarz ist.“ Heute ist es so, dass kein Auto dem anderen entspricht. Es war aber ein längerer Prozess, den Kunden ins Unternehmen einzuführen. Zunächst sagten nämlich die Produktionsleute „Wie soll das gehen, 2 Farben oder 2 Varianten anzubieten, da muss man die Produktion umrüsten, das geht ja nicht, dann fällt die Produktionsstraße ja für 3 Wochen aus!“ In gewisser Weise sehe ich das auch noch für das Thema Mitarbeiterorientierung stattfinden. Wir fangen da nicht am Anfang an, ganz neu ist das nicht: gute Personalarbeit, systematische Personalarbeit wird in vielen Unternehmen schon lange gemacht.
Aber den einzelnen Mitarbeiter wirklich zu sehen, diese Beziehung individuell zu gestalten, das wird noch mal so eine neue Dimension sein. Bei vielen Führungskräften taucht dann die Frage auf, „Muss ich mich jetzt um jeden einzelnen kümmern?“ Und die Antwort lautet meiner Ansicht nach „Ja“.
Aus der Vergangenheit sind mir Aussagen bekannt von Vorständen, wo es noch so hieß „Mitarbeiterzufriedenheit, haben wir für so was Zeit?“ Das wird sich doch deutlich weiterentwickeln. Man wird auf den einzelnen Mitarbeiter, den einzelnen Menschen schauen und fragen „Was können wir als Unternehmen tun, dass der Mitarbeiter sein volles Engagement zeigen kann bzw.  dass er sich so eingebunden fühlt, dass er engagiert ist und dem Unternehmen so lange erhalten bleibt.“ Da sehe ich noch einen qualitativen Sprung in Sachen Mitarbeiterorientierung.
 
MH: Wie kommt das?
 
Frank Hauser: Ich verweise vor allem auf die Marktentwicklung: Genauso wie der Kunde bei zunehmender Verfügbarkeit von Standardprodukten immer stärker als individueller Träger von Bedürfnissen gesehen und mit individuellen Produkten bedient wurde wird jetzt der Mitarbeiter immer stärker und nachhaltiger als individueller Träger von Bedürfnissen gesehen. Man macht nicht mehr nur ein Angebot für die über 50-Jährigen oder die unter 30-Jährigen auch nicht nur für Männer und Frauen – wenngleich das wichtige Dimensionen sind. Diversity ist ein wichtiger Begriff für die Zukunft. Letztlich wird man sich den einzelnen Mitarbeiter anschauen. Im Bereich der Arbeitszeitgestaltung zeigt sich das schon sehr deutlich. Die Unternehmen mit denen wir ihm Rahmen unserer Beste-Arbeitgeber-Untersuchung zu tun haben, bieten vereinfachend gesprochen so viele Arbeitszeitmodelle, wie sie Mitarbeiter haben – wenn sie nicht ohnehin  gleich Vertrauensarbeitszeit eingeführt haben.
 
MH: Ist das eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich widerspiegelt in einzelnen Arbeitskräften, um die ich werben muss, dass diese Erfordernis gestiegen ist, oder hat sich das innerhalb der Wirtschaft entwickelt? Wie beurteilen Sie das?
 
Frank Hauser: Da kommen zwei Entwicklungen zusammen: Zum Einen die stärkere Individualisierung in der Gesellschaft. Jeder entwickelt - so sollte es ja auch sein - eine eigene Vorstellung davon, was für das persönliche Glück relevant ist und versucht diese zu realisieren.
 
MH: Das ist nicht nur die Vorstellung von Herrn Hauser, sondern eine Beobachtung, dass sich das gesellschaftlich immer weiter durchsetzt und immer mehr Raum findet?
 
Frank Hauser: Das ist sowohl meine persönliche Erfahrung, aber ich glaube auch ein breiter gesehener Trend.

Dieser Trend zur Individualisierung trifft nun auf die zweite Entwicklung, die demografische Entwicklung. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen, aber das ist hier nicht relevant. Auf jeden Fall ist es so, dass die Unternehmen sich etwas einfallen lassen müssen,
um die erforderlichen Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten.
 
MH: Wenn Unternehmen im Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen, muss man sich was einfallen lassen, und da hängt man sich an den gesellschaftlichen ohnehin stattfindenden Prozess dran. Machen diese Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil draus oder spitze ich es jetzt zu sehr zu?
 
Frank Hauser: Ja, die in Sachen Mitarbeiterorientierung guten Unternehmen machen da einen Vorteil draus, die anderen versuchen irgendwie mitzuhalten. Man sieht das beispielsweise am Thema Work-Life-Balance. Als ich die Uni verlassen habe,  gab es den Begriff bei uns noch gar nicht. Wenn man in den 90er Jahren in einem Bewerbungsgespräch nach Angeboten dazu gefragt hätte, wäre das Gespräch schnell zu Ende gewesen, Heute kann man in vielen Fällen ganz selbstverständlich danach fragen und die Unternehmen führen Vertrauensarbeitzeit, Home Office, Kinderbetreuung und Sabbaticals aktiv als wichtige Angebote an.
 
MH: Das hat nicht mit einem bestimmten Datum angefangen, was Sie beschreiben. Können Sie vielleicht eine Jahreszahl wagen, ab wann Sie diese Entwicklung wahrnehmen?
 
Frank Hauser: Ich würde sagen Ende der 90er Jahre. Zumindest ist in dieser Zeit ein anderer Begriff geprägt worden, der auch einen Teil des gesamten Phänomens Mitarbeiterorientierung beschreibt: das ist der Begriff „War for talents“, Damit wird in martialischer Weise auf den Punkt gebracht, um was es geht. Was Ende der 90er nur für bestimmte Gruppen galt, nämlich die High-Potentials oder für Führungskräfte, das gilt in Zukunft dann allerdings –hoffentlich - weniger martialisch für viele – und das ist gut so.
 
MH: Die Ansprüche steigen. Der Wettbewerb wird immer härter auch in dieser Hinsicht. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch das Niveau, auf dem man Mitarbeiterorientierung liefert, um Mitarbeiter noch zu gewinnen – das schraubt sich eher nach oben.
 
Frank Hauser: Ja! Es ist in der Arbeitspraxis zudem einfacher, einen Kunden zufrieden zu stellen als einen Mitarbeiter bzw. den Großteil der Mitarbeiter. Der Kunde hat  immer wieder Distanz zum Unternehmen: Er macht eine Leistungs- oder Produkterfahrung, indem er sein Auto kauft und nutzt oder indem er zum Zahnarzt, Rechtsanwalt oder Frisör geht. Die Beziehung findet meist in eher kurzen Ausschnitten statt. Die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen ist in der Regel eine tägliche und geht über mehrere Stunden. Insofern sind die Herausforderungen in dieser Beziehung noch einmal dichter.
 
MH: Dichter – ja, „permanent“ assoziiere ich und „wechselhaft“.
 
Frank Hauser: Auch wechselhaft! Die Beziehung muss jeden Tag neu gelebt werden und unter wechselnden Umständen gleiche Qualität zeigen – wir hatten oben davon gesprochen. Das wird ein neuer Teil der Führungsaufgabe werden, sich dieser Anforderung zu stellen und in diesem Bereich  innovativ zu sein. Aber als Führungskraft muss man davor keine Angst haben. Ich habe es bisher nicht erlebt, dass in intakten, vertrauensvollen Verhältnissen, Beschäftigte Dinge forderten, die dem Unternehmen schadeten oder die Führungskräfte unangemessen unter Druck setzten. Vertrauenskultur ist ja auch etwas, was von beiden Seiten funktioniert bzw. gespeist wird.
 
MH: Ihr Gesichtsausdruck war gerade so, als freuten Sie sich auf diese Herausforderung auch für das eigene Unternehmen.
 
8.    Unternehmen können meiner Einschätzung nach zu einer Art Kulturschule werden
 
Frank Hauser: Ja! Auch wir haben da noch etwas zu entwickeln und ich erlebe das gerade als richtige Mischung von Forderung und Chance. Unternehmen können meiner Einschätzung nach zu einer Art Kulturschule werden. Vielleicht ein etwas weitgehender Gedanke, aber Unternehmen sind Stätten, bei denen man Erwartungen an Führungskräfte und Mitarbeiter formulieren kann und bei deren Umsetzung eine spürbare Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit erwarten kann.
 
MH: Ist es die Zweckorientierung der Wirtschaftsunternehmen, auch Non-Profit Unternehmen, die diese Verbindlichkeit schaffen? Das Ganze unterliegt einer gewissen zweckorientierten Rationalität, und wenn ich mich da dysfunktional verhalte, dann könnte es irgendwelche sanktionierenden Mechanismen geben, die sagen „Hör mal, so bitte nicht! Das schadet uns!“
 
Frank Hauser: Das ist die Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren. Es gibt Ziele bzw. in dem Fall Verhaltenserwartungen – beispielsweise „wertschätzenden Umgang“ oder „Anerkennung für gute Leistungen“ und am Ende dazu passende Zielerreichungskontrollen. Dazwischen liegen eine Reihe von Verhaltensmöglichkeiten. Man muss die Ziele erreichen, sonst scheidet man aus diesem System aus – etwas vereinfacht gesagt, mitunter werden auch die Ziele angepasst..
 
MH: Das heißt das Unternehmen scheidet aus?
 
Frank Hauser: Das Unternehmen oder die Führungskraft! Passt beides. Erleben die Mitarbeiter seitens der Führungskraft keine Anerkennung kann zunächst seitens des Unternehmens einiges getan werden, dass die Führungskraft diesen Beitrag doch leisten kann. Geschieht das nicht und sind die Rückmeldesysteme intakt, droht das Ende der aktuellen Karriere. Diese Perspektive schafft für Führungskräfte eine Grundmotivation das eigene Verhalten weiterzuentwickeln.
 
Oft hört man in dem Zusammenhang, den Einwand, dass der Zwang zu einem bestimmten Beziehungsverhalten dazu führe, dass nur schematisch bestimmte soziale Techniken „eingesetzt“ werden. Damit verbunden ist die Vorstellung dass man das Schulterklopfen in irgendwelchen Kursen übt und Formulierungen lernt, die hilfreich sind, um engagierten Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass man sie wertschätze, obwohl man das innerlich nicht tut. Damit entwickelten sich dann so etwas wir Sozial-Technokraten, Ich denke, solche Schulungen wären in bestimmten Fällen gar nicht schlecht – sie können ein Schritt zur eigentlich relevanten inneren Haltung und der Erfahrung eines innerlich getragenen Verhaltens sein. Allerdings nur ein Schritt. Für das Thema Anerkennung und Wertschätzung ist Authentizität sehr wichtig. Und als Menschen haben wir dafür ein feines Gespür.
 
MH: Ich verbinde das noch mal mit der Unterscheidung, die Sie gemacht haben zwischen „der Wirtschaft inhärent“ und „der Wirtschaft nicht inhärent“: Wenn Sie jetzt von Unternehmen als Kulturschule sprechen, dann würde ich erstmal sagen, das ist ja nun ganz wirtschaftsfremd. Aber was Sie erläutern und wenn Sie eine Vokabel verwenden wie „gezwungen“ dann riecht mir das so, als wäre das doch der Wirtschaft inhärent, weil es auf ihre Funktionalität wirkt.
 
Frank Hauser: Wenn es einen Knall geben würde und die Geburtenrate wäre anders, so dass mit einmal für die Zukunft genügend qualifizierte Arbeitskräfte da wären, würde sich meine Einschätzung zu den Chancen auf eine breite Bewegung zu mehr Mitarbeiterorientierung schlagartig verändern.
 
MH: Wenn ich Sie richtig verstehe, heißt das aber, es ist das Gute an der Knappheit am Arbeitsmarkt, dass Dinge zum Zwang werden, die wir – und nicht nur wir – gut heißen.
 
Frank Hauser: Genau! Es ist eine große Chance!
 
MH: Mir geht noch etwas durch den Kopf, was Sie gesagt haben: ohne Authentizität läuft das nicht. Andererseits scheinen Sie aber auch persönlich nichts dagegen zu haben, dass es funktional ist. So wird Geld verdient. So bringe ich ein Wirtschaftsunternehmen unter immer enger werdenden Wettbewerb zum Erfolg.
 
Frank Hauser: Ja, natürlich! Ich denke, es ist sinnvoll, die dahinter stehenden Prinzipien zu sehen, aber wenn Mitarbeiterorientierung heraus kommt, finde ich das sehr gut. Das Wirtschaftliche und das Soziale oder Menschliche verbinden sich in Unternehmen auf besondere Weise, Mich interessiert eine gelungene Verbindung.
 
MH: Ich teile die Freude daran. Man lacht sich auch ein bisschen ins Fäustchen.
 
Frank Hauser: Wie gesagt, das ist toll! Und es ist eine Chance! Auf Grund der demografischen Entwicklung blicken wir auf eine vergleichsweise lange Zeit, in der Mitarbeiterorientierung zu einer lebendigen, erfolgreichen Kultur werden kann, d. h. zu etwas, dass aus sich heraus gelebt und neu geschöpft wird, weil man seine Vorteile – Gesundheit, Engagement, Innovation, Erfolg - in einem sich selbst verstärkenden Prozess erfährt  Wenn man als Führungskraft dahin “gezwungen“ wird, dass man möglichst authentisch Anerkennung gibt und dann erlebt, dass der Empfänger der Anerkennung sagt: „Super, danke!“ und weiter engagiert bei der Arbeit ist – dann bleibt man auch als Führungskraft weiter dabei.
 
MH: Wenn ich als Führungskraft etwas zurückkriege, was mich bekräftigt …
 
Frank Hauser: ... dann bringe ich mich weiter ein. Allerdings braucht es hier etwas Geduld: Man darf diese Entwicklung nicht zu ökonomisch sehen bzw. darf nicht zu früh bilanzieren nach dem Motto „Jetzt habe ich aber schon 2 x Rückmeldung gegeben und es ist noch kein Engagement zurückgekommen“. Es geht um Kultur und da hilft die Orientierung an einem landwirtschaftlichen Betrieb: Vorbereiten, säen, pflegen, ernten. In Sachen Authentizität trennt sich da auch die Spreu vom Weizen, um im Bild zu bleiben.
 
MH: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hauser!
 
 
Biographisches
Frank Hauser (geb. 1965) leitet seit 2002 das Great Place to Work® Institute Deutschland in Köln. In dem Rahmen liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit des gelernten Diplom-Kaufmanns in der Analyse und in der Beratung zu den Themen Arbeitsplatzkultur, Engagement und Arbeitgeberattraktivität. Das Great Place to Work® Institute Deutschland führt seit 2002 die jährliche Studie „Deutschlands Beste Arbeitgeber" durch. Frank Hauser ist Mitglied des Executive Board des Great Place to Work® Institute International. 


* Dieses Gespräch mit Frank Hauser ist Teil des Forschungsprojektes „In der Krise: Beibehalten, innovieren, über Bord werfen“. In diesem Forschungsprojekt werden Personen interviewt, die eine maßgebliche Führungsfunktion in einer Organisation innehaben. Ziel dieser Gespräche ist, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was derzeit als unternehmerisch relevant erlebt wird, und welche grundlegend neuen Fragen sich dabei herauskristallisieren. Dieses Forschungsprojekt entstand im Rahmen von metalogikon. Die Interviews und die zusammengefassten Erkenntnisse daraus sind abrufbar unter www.metalogikon.com