Nachlese Café Metalogikon vom 25. Februar 2009
Zeiten der Veränderung sind die Brutstätte grundlegender Innovationen
Einleitung: Zeiten der Veränderung
von Christoph Mandl
Wir durchleiden eine Finanzkrise, sagen die einen. Aus dem Munde eines gerade gekündigten Bankers an der Wall Street oder aus dem Munde einer Bankkundin, der ein Bankmitarbeiter erklärt, dass das in Aktien angelegte Ersparte sich im letzten Jahr leider mehr als halbiert hat, klingt das plausibel.
Wir durchleiden eine Überproduktionskrise, sagen andere. Aus dem Munde eines Produktionsmanagers bei General Motors, der mir schon 2007 erzählte, dass bei manchen Marken eine Jahresproduktion unverkauft auf Lager liegt, und aus dem Munde einer Leiharbeiterin, die von Magna gerade abgebaut wurde, klingt auch dies plausibel.
Wir durchleiden eine Preisinstabilitätskrise, sagen wiederum andere. Aus dem Munde eines Mitarbeiters von Saudi Aramco, der in der Produktionsplanung erlebte, wie der Rohölpreis innerhalb eines Jahres zunächst um 50 Prozent anstieg um darauf um 70 Prozent zu fallen, und aus dem Munde einer AUA-Mitarbeiterin, die Flugpreise kalkulieren soll, klingt auch dies plausibel.
Wir erleben einen massiven Nachfragerückgang, sagen schließlich andere. Diese Beschreibung des Geschäftsführers eines großen Automobilzulieferers, dessen Umsatz von September auf Oktober 2008 um 40 Prozent einbrach und der so etwas in seiner mehr als 40-jährigen Berufserfahrung noch nicht erlebt hatte, kann ich nachvollziehen.
Bevor der Begriff Krise in die Wirtschaft wanderte, wurde mit Krise jene Phase bei Infektionskrankheiten bezeichnet, die den Wendepunkt eines gefährlichen Krankheitsverlaufs darstellte. Krise war und ist Symptom eines Verlaufs, der in einen Wendepunkt mündet.
Solche Wendepunkte sind ganz, ganz spezielle Momente. Denn es sind Momente, in denen sich Bewegungen in ihr genaues Gegenteil verkehren. Das Fieber steigt nicht mehr sondern es sinkt. Die Aktienpreise steigen nicht mehr sondern sie sinken. Die Nachfrage nach Autos steigt nicht mehr sondern sie sinkt. Aus Beschleunigung, also der Zunahme von Wachstum, wird Verzögerung, also die Zunahme von Schrumpfung. Ruck nennen Physiker solch einen Wendepunkt. Ein Ruck ist ein Moment größter Veränderung. Ein Ruck kann bedrohlich sein, etwa wenn ein Auto mich rammt, oder erhebend, etwa als die Berliner Mauer fiel. Gemeinsam ist solchen Momenten größter Veränderung, dass sie uns orientierungslos machen. Was von dem, das noch vor ein paar Monaten stimmte, ist auch jetzt noch gültig? Welche meiner Erwartungen treffen noch zu?
Wir wissen, dass wir seit 2007 einen Wendepunkt erlebt haben, dass ein Ruck durch die Industriegesellschaft ging. Was wir aber noch nicht wissen ist, welche unserer Erwartungen, auf die wir uns bisher so gut verlassen konnten, zu Illusionen mutiert sind.
Stellen Sie sich vor: Sie gehen auf einem ihnen wohlbekannten Weg. Die Vertrautheit des Terrains ermöglicht ihnen, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, ohne auf ihr Gehen besonders achten zu müssen. Plötzlich und wie von Adam Smiths‘ unsichtbarer Hand verändert sich um sie herum das Gelände und der Pfad verschwindet. Schlimmer noch, der Boden unter ihren Füßen gibt nach. Der feste Grund hat sich in ein Moor verwandelt. Das ist Orientierungslosigkeit, die ich meine. Die natürliche Reaktion darauf ist ein Gefühl hoher Unsicherheit gepaart mit dem Bewusstsein gestiegenen Risikos.
Jede Führungsperson, die unternehmerische Gestaltungs- und Entscheidungsverantwortung hat, befindet sich derzeit in so einer Situation. Für manche führt dieses ungewohnte Risikobewusstsein zu Ängsten, manche nehmen es gelassener, aber so wirklich wohl ist niemandem. Wie dem auch sei, wir befinden uns nun in diesem unbekanntem Moor und müssen uns als unternehmende Menschen neu zurechtfinden.
Sie verändern ihr eigenes Verhalten. Erwarten sie daher nicht, dass das Verhalten der Anderen wieder zum Stand vor dem Wendepunkt zurückkehren wird und deshalb „Abwarten und Tee trinken“ angebracht ist. Oder glauben sie etwa, dass die Menschen unbeeindruckt von den Berichten des Weltklimarates, von der Entwicklung des Benzinpreises, von der Börsenentwicklung, von der Verwundbarkeit der Gasversorgung zu ihren gewohnten Kauf- und Investitionsverhalten zurückkehren werden?
Damit wird derzeit Wissen im großen Stil obsolet, Wissen darüber in welchem Terrain des Kauf- und Investitionsverhaltens wir uns bewegen. Was ist nun anders? Welche Wünsche, Sorgen und Sehnsüchte haben die Menschen jetzt? Da wird es nicht genügen, die Einkäufer der Großkunden zu Rate zu ziehen. Will man es wirklich wissen, so ist es unumgänglich, jenen Menschen zuzuhören, die die eigentlichen Nutznießer der eigenen Dienstleistungen, der eigenen Produkte sind, aber auch jenen Menschen zuzuhören, die erlebt haben, dass nutzbringende Leistungen auch Schaden verursachen, Stichwort abgasintensive Autos oder ertragreiche Wertpapiere mit hohem Risiko. Das ist, zugegebenermaßen, ungewöhnlich aber erkenntnisträchtig. Doch wie sonst hätte jene Firma, welche Straßenkehrfahrzeuge erzeugt, von der Problematik des Feinstaubs erfahren, wenn nicht ein Fahrer eines solchen Fahrzeuges beim Gespräch mit einem Konstrukteur erwähnte, wie idiotisch er seine Arbeit fände, wo er doch durch sein Kehren den Feinstaub erst so richtig aufwirble.
Sind sie schon mal in der Nacht auf einen Berg gewandert? Das geht, langsamer zwar als am Tag, aber ich hab’s schon mehrmals gemacht. Das ist die beste Wahrnehmungsübung, die ich kenne. Nichts ist mit gedankenverlorenem Gehen. Nichts ist mit Plaudern mit ihren Mitwanderinnen. Sie werden ganz Ohr, ganz Auge, ganz Tastsinn. Dies ist die Art von Wahrnehmung, die sie brauchen, um das massiv veränderte Terrain des Kauf- und Investitionsverhaltens zu erkunden, im Fragen, im Zuhören und mit großen Ohren.
Wahrnehmen des Terrains des neuen Kauf- und Investitionsverhaltens allein hilft indes nicht weiter, denn ein Moor ist kein risikoloser Ort zum Verweilen, insbesondere wenn sie auf die Rückkehr des gewohnten Kauf- und Investitionsverhaltens warten. Ihren ungemütlichen Standort verlassen bedeutet, das Terrain des neuen Kauf- und Investitionsverhaltens mit neuen Dienstleistungen und Produkten zu betreten. Die Unsicherheit, dass sie trotz vorangegangenen Erkundens des Terrains etwas anbieten, das dem geänderten Kauf- und Investitionsverhalten nicht angemessen ist, bleibt zwar. Aber das Risiko wird ungleich geringer, wenn sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen im eigenen Unternehmen gemeinsam in dieselbe Richtung gehen, also sich für genau eine neue Leistung entscheiden, anstatt in verschiedene Richtungen loszumarschieren. In unbekanntem Gelände auf moorigem Boden ist die beste Überlebensstrategie immer noch, nicht stehen zu bleiben, beisammen zu bleiben und einen Weg gemeinsam zu gehen hin zu jenem neuen Kauf- und Investitionsverhalten, dem die eigene neue Leistung entspricht.
Neues Kauf- und Investitionsverhalten können wir nicht verhindern – wir sind selbst Teil dieser Bewegung. Aber das Neue, das dem veränderten Kauf- und Investitionsverhalten entspricht, zu erkennen und zu erschaffen, das liegt in unserer Hand.
Warum ich Ihnen das erzählte? Weil ich ihnen die Essenz dessen darlegen wollte, worauf es bei grundlegenden Innovationen – damit meine ich nicht Verbesserungen – ankommt und wieso dieser schöpferische Prozess gerade jetzt nicht nur möglich sondern notwendig ist. Vor sieben Jahren, als wir im metalogikon begannen, uns mit Innovation, mit dem U-Prozess von Scharmer und mit dem Wesen des Schöpferischen in Unternehmen auseinanderzusetzen, waren Innovationen auch schon erwünscht aber so, wie man mitunter gerne Schlagobers am Café hat. Heute könnte die Fähigkeit zu grundlegender Innovation existenzielle Notwendigkeit geworden sein.
Zusammenfassung der Gespräche von Josef M. Weber
Dass die derzeitigen Wirtschaftsereignisse das bisherige Investitions- und Kaufverhalten massiv verändern wird steht zweifellos fest. Was wir nicht wissen ist, wohin sich dieses Investitions- und Kaufverhalten verändern wird. Scheinbar Bewährtes wird unverkäuflich. Neu entstehende Bedürfnisse und Sehnsüchte können mangels entsprechenden Angebotes nicht erfüllt werden. Das Risiko, Fehlentscheidungen beim Innovieren zu treffen, lähmt.
Am Mittwoch dem 25.2.09 folgten rund 50 ManagerInnen, Führungskräfte, Controller, Techniker, Personalverantwortliche, WissenschafterInnen, ForscherInnen, UmweltexpertInnen und BeraterInnen der Einladung des metalogikon, sich in einem Café metalogikon dieser Fragestellung zu widmen.
Deutlich geworden dabei ist, dass
• die Bereitschaft bisherige „heilige Kühe“ (Erfolgskonzepte, Wachstumsstrategien, Investitionsstrategien…) in Frage zu stellen steigt. Die
Veränderungsbereitschaft in vielen Bereichen ist jetzt gegeben. Mutige Schritte in Richtung Veränderung zu setzen wird zunehmend möglich.
• Dennoch laufen Entscheider (Politiker, Manager…) Gefahr, dass sie die Investitionen in die Erhaltung bisher bewährter Systeme, Leistungen, Ziele
und Produkte tätigen. Stattdessen braucht es jetzt einer starken Zuwendung neuer, auch nicht erprobter Wege.
• Jetzt gilt es, die Aufmerksamkeit auf jene Organisationen, Entscheidungen, Unternehmen zu lenken, die grundlegend neue Wege gehen, einen
Prozessmusterwechsel vornehmen. Dabei kommt auch den Medien eine bedeutende Rolle zu.
Die besondere Kommunikationsarchitektur eines Café metalogikon, die es ermöglicht hat innerhalb weniger Stunden grundlegende Aussagen und Ergebnisse hervorzubringen und gleichzeitig Impulse für das eigene Handeln auszulösen hat die Teilnehmenden veranlasst eine Weiterführung dieses Café metalogikon in nächster Zukunft anzuregen um den Dialog fortzusetzen.